» Kleinkunst

Prominenz und Patzer

MAINZ (29. August 2021). 60 Jahre Deutsches Kabarettarchiv, 120 Jahre Kabarett in Deutschland, 140 Jahre französisches Cabaret – 2021 gibt es einiges zu feiern, wozu der Jubilar in den Hof des Landesmuseums eingeladen hatte. Die frühherbstliche Wetterlage tat der Stimmung indes keinen Abbruch, wofür auch die eingeladenen Künstler sorgten. Dabei durfte sich das Publikum vor allem über den Überraschungsgast aus der Schweiz freuen: Emil Steinberger trug einen großen Karton auf die Bühne und überreichte ihn der Archivleiterin Martina Keiffenheim sowie Marianne Grosse als Vorsitzender der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv. Der Inhalt: Kunstdrucke sowie Material aus seinem Schaffen zur dauerhaften Archivierung und Bereitstellung für die Öffentlichkeit.

Die „Toblerone des Kabaretts“, wie Keiffenheim den Grand Seigneur aus der Alpenrepublik liebevoll nannte, spielte mit dem Polizeiwachen-Sketch dann auch eine seiner größten Nummern und zauberte damit Lachtränen der Erinnerung in die Augen mancher Gäste: 60 Jahre alt sei diese Nummer schon, erzählte Steinberger zuvor. Als er sie damals zum ersten Mal in der Schweiz gab, habe das Publikum lauthals gelacht, in Deutschland seien die Reaktionen anfangs eher verhalten gewesen: „Man hat mich damals sogar gefragt, ob ich keine Schwierigkeiten mit der Polizei befürchten würde“, schüttelte der legendäre „Wachtmeister Schmieder“ auch heute noch den Kopf.

Zuvor hatte Kulturdezernentin Grosse an die bewegte Geschichte des Kabarettarchivs erinnert: von seinen Anfängen, als der damals junge Reinhard Hippen begann, akribisch alles zu sammeln, was auf, hinter und vor den Kleinkunstbühnen der Republik stattfand, über die Übernahme der Sammlung durch die Stadt Mainz bis zu ihrem Übergang in eine Stiftung. Das Archiv sei heute jedoch weit mehr als eine reine Sammlung und Ort des wissenschaftlichen Arbeitens, so Grosse weiter: Unter der Leitung von Martina Keiffenheim und Nicole Roth sowie deren Team habe sich das Archiv zu einem offenen Ort der Begegnung gewandelt. Durch eigene Veranstaltungen und Ausstellungen kann man hier auf Tuchfühlung mit den großen Namen der Kleinkunst gehen – aktuell und bis Juni 2022 mit der Ausstellung „Kabarett±Malerei±Meer“.

Wenn man in den rund 33000 Büchern, 25000 Tondokumenten, 20000 Plakaten und Grafiken sowie 6000 Ordern mit Programmen und Texten, die das Deutsche Kabarettarchiv mittlerweile umfasst, blättert, kann man zuweilen auch Stellen entdecken, an den sich so mancher Pegasus kräftig vergaloppiert hat. So leider geschehen beim Auftritt Simone Solgas: Wer sich an beleidigenden Äußerlichkeiten aufhängt („Außenminister Heiko Maas erinnert an eine ausgedörrte Dauererektion.“), an den Tatsachen vorbeiwitzelt („Ich habe jetzt ein Jahr lang rumgesessen und überhaupt nichts zustande gebracht – so muss sich Jens Spahn fühlen.“) oder sich gar als Kulturschaffende während der Pandemie mit deutschen Hilfskräften in Afghanistan gleichsetzt („Beide werden von der Bundesregierung hängengelassen.“), trifft im Publikum zu Recht auch mal auf eine Mauer des Schweigens.

Weitaus besser waren da Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn, die noch vor der offiziellen Premiere in Berlin Teile ihres neuen Programms „Volumen 10“ spielten. Als Kehraus sorgte Urban Priol für Stimmung, der ja schon wenige Tage zuvor auf der Zitadelle aufgetreten war.

zurück