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„Meine Damen, meine Herr’n – entklemmen Sie sich!“

SCHLANGENBAD – Ob die Hits der zahlreichen „Superstars“ von heute oder eines Florian Silbereisen gar in 70, 80 Jahren wohl Teil einer Revue im Rahmen des Rheingau Musik Festivals sein werden? Man kann es sich kaum vorstellen – vom Wollen ganz zu schweigen! Haltbarkeit ist eben auch eine Frage der Qualität – einer Qualität, die die Hits und Schlager der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ganz ohne Zweifel auch heute noch haben. Und dann braucht es eigentlich nur noch Künstler wie Robert Kreis, die den Staub vom Schellack pusten.

Und das tut er seit über 30 Jahren mit Begeisterung: für die „roaring twenties“ und die „dirty thirties“, für eine Zeit, in der mit Sprachwitz und Koketterie über die Themen gesungen wurde, die damals das Publikum juckten. Und zwar in allen Regionen des offenbar gar nicht so verklemmten Volkskörpers.

„Das frivole Grammophon“ heißt das aktuelle Programm des Holländers, mit dem er die Bühnen und Varietés füllt und sein Publikum in eine vergangene Epoche entführt. Auf dem Flügel im Parkhotel Schlangenbad steht ein alter Plattenspieler und der Trichter glänzt im Bühnenlicht. Davor sitzt: ein Hund – „his masters voice“ als Reminiszenz an das legendäre Plattenlabel der Deutschen Grammophon Gesellschaft.

Als „his masters voice“ agiert auch Robert Kreis, der sich aus seiner tausende Schellack-Platten sowie zahlreiche Magazine aus der Zeit der Weimarer Republik umfassenden Sammlung immer wieder neue Pikanterien herauspflückt, um sie dem geneigten Publikum wie einen steinalten, doch noch immer schmackhaften Wein zu kredenzen.

In Liedern wie „Mieder mit den Spatzen“ von Eduard Lindner, Ernst Petermanns „Das ist das Eigenart’ge bei der Frau“ oder einem Badepotpourri um den „Gummikavalier“ streift Kreis das Thema Sexualität wie der Rauch einer Zigarette ums Licht und bricht hüstelnd das Tabu mit hochgezogenen Augenbrauen. Herrlich, wie er seine Nase über dem Menjou-Bärtchen rümpft und doppeldeutig ins Publikum feixt!

Doch wie die Scherze und Andeutungen, seine Kalauer, Gedichte und Geschichtchen jener Zeit hat auch der heutige Vortrag seinen doppelten Boden: In einer Zeit, in der die Erotik schon längst eine laute und schrille Öffentlichkeit genießt, macht es richtig Spaß, wenn Robert Kreis im hanseatisch-englisch eleganten Gewand den Mantel des Schweigens über das Schlüpfrige zieht, um ihn in seinen Liedern dann wieder kurz und wunderbar genant zu lupfen und der Sexualität wortwörtlich unter den Rock zu schauen.

Robert Kreis ist ein Meister am Klavier und toll bei Stimme. Aber anders als Kollegen, die die Lieder der „goldenen 20er“ heute singen, spielt Kreis keinen Conférencier, sondern schmiegt sich selbst mit Leib und Seele in die klangliche und stilistische Kulisse, die er mit jedem neuen Lied immer wieder aufs Neue aufreißt.

Wunderbar leicht und locker sind auch seine Moderationen und Texte, die er zwischen den Songs einer Trude Hesterberg oder eines Rolf Benatzki vorträgt. Aus einer Theaterzeitung von 1902 zitiert er Annoncen zu Gewichtsreduzierung und -zunahme [sic!], trägt das Gedicht „Humsti & Bumsti“ von Alexander Roda Roda vor, liest als Marcel Reich-Ranicki einen Artikel über das schädliche und schändliche Onanieren (aus „Das Liebes- und Geschlechtsleben des Weibes in gesunden und in kranken Tagen“, 1923, zehnte Auflage) vor oder referiert aus der Illustrierten „Schönen Frau“ über die Möglichkeit, beim Zeugungsakt via Stellungswechsel das Geschlecht des Kindes zu beeinflussen – natürlich nicht, ohne es auf dem Flügel zu demonstrieren.

Doch bei allem, was das heutige Publikum zum ungläubig staunenden Kichern veranlasst, malt Robert Kreis auch ein buntes Sittengemälde jener Zeit, in der ein Erich Kästner einen schwülen Text über Transvestiten in der legendären Berliner Bar „Eldorado“ verfasste.

Überhaupt ist es immer wieder die Sprache, die Kreis wahrlich goutiert: Schlager, die Frauennamen im Titel führ(t)en wie „Ich bin verrückt nach Hilde, Du küsst ja wie ‚ne Wilde“, „Willst’e was von Else – bestell’se“, „Ich bin so scharf auf Erika wie Kolumbus auf Amerika“ oder „Es will die Ingeborg, dass ich ihr meine Dinger borg‘“, machen ihm ebenso eine Freude wie die Raffinesse, mit der die Texte von einst die prickelnde Erotik von einst besangen und somit phantasievoll beschrieben, wie die Frau unter dem wollgestrickten Bade-Einteiler aussieht.

Und wer hier noch immer einen Anflug von Prüderie verspürt, dem ruft Robert Kreis entwaffnend zu: „Entklemmen Sie sich!“ – und zieht erneut sein frivoles Grammophon auf.

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