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Kuscheln in der heilen Welt

MAINZ (20. Februar 2016). Was das wohl wird? Die Schauspielerin Saskia Kästner kündigt an, als „Schwester Cordula“ aus Groschenheftchen (genauer: Mutti-Romanen) vorzulesen – auf der Bühne des kleinen Unterhauses. Eine satzgetreue Rezitation wird das schon nicht werden, beruhigt man sich und begibt sich neugierig ins Kleinkunstgewölbe. Dort bekommt man eines versprochen: ein Happy End. Davor jedoch, droht Kästner grinsend, gehe es durch die Hölle.

Und für die bildet die Handlung des „Romans“ mit dem grausamen Titel „Elisabeth, Mutterherz aus Eis“ eine veritable Kulisse: Die Frau Mama ist alleinerziehend und karrieregeil, das Töchterchen Anke (7) leidet darunter. Die Dialoge, die Kästner hier exzerpiert und theatralisch vorträgt, sind peinvoller als eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Es kommt noch zu einer Geiselnahme in Ankes „Internationaler Ganztags-Elite-Grundschule“; der Vater des Mädchens wird reaktiviert und schmeißt sich in die Bresche, während die Rabenmutter zum nächsten Deal nach China düst. Auf dem Rückflug wird ihr Jet entführt, sie selbst angeschossen – und endlich schmilzt das „Mutterherz aus Eis“. Familienzusammenführung erledigt.

Angesichts der Kriege, Flüchtlingsströme und Wirtschaftskrisen mag man es keinem verdenken, wenn er sich irgendwie ein Stückchen heile Welt erträumt. Aber doch bitte nicht so, wie es sich die Autoren der Groschenromane ausdenken! Hier greift der satirische Kniff Kästners packend zu: Das Genre bietet einfach eine herrliche Angriffsfläche, um es maliziös zu karikieren. Und das kann Kästner brillant. Allein wie sie die Sexszene, aus der Klein-Anke entsteht, ausmalt: Da kann „50 Shades of Grey“ aber einpacken.

Zusammen mit Dirk Rave am Akkordeon zieht sie ein herrlich grelles Sittengemälde dieses Zerrbilds der Realität auf. Durch Gestik, Mimik und Duktus wird daraus eine Groteske ganz eigener Art. Doch diese buchstäbliche Zurschaustellung des unsäglichen Plots wird noch knackig illustriert. Da ist zum einen die immer treffsicher gesetzte musikalische Untermalung, mal instrumental, mal von Kästner mit passendem Text gesungen: von Abba über Bob Dylan bis hin zu Pergolesis „Stabat mater“.

Auf der anderen Seite mimt Kästner die greise Kinderpsychologin Christa Meves, deren Ansichten zu Frau und Erziehung wortwörtlich ins AfD-Programm übernommen werden könnten. Dazu zitiert Rave aus Büchern wie „Nummer eins“ von Oliver Kahn oder – kein Witz! – Boris Beckers Erziehungsratgeber „Was Kinder stark macht“: „Dass da keiner vorher drüberliest“, wundert sich Kästner feixend.

Hier haben zwei großartige Bühnenkünstler eine faszinierende Nische entdeckt: Kästner, die in einem anderen Programm aus Arzt-Romanen liest, ist eine glänzende Komödiantin, Rave gibt den musikalischen Sidekick, der das Ganze herrlich stoisch erträgt. Das Publikum ist aus dem Häuschen und will die Mimen gar nicht mehr von der Bühne lassen. Und man selbst wird angesichts des Erlebten nie wieder ein schlechtes Wort über die Handlung von Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen sagen.

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