» Kleinkunst

Mutti, der Arzt und die Heimat

MAINZ (28. April 2019). Es geht um Liebe, Herz und Schmerz, um Ärzte und Schwestern, um Familie, Berge, Alpenglühen – die Welt der Groschenromane ist vielfältig. Und offenbar inspirierend: Saskia Kästner und der Akkordeonist Dirk Rave bringen diese Welten auf die Kleinkunstbühnen der Republik: urkomisch und ergreifend, musikalisch und abgedreht. Wir sprachen mit Kästner über ihre ganz eigene Kleinkunstnische.

Frau Kästner, erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihren ersten Groschenroman?

Ich war 15 und es war Sommer: In der Garage meiner Großmutter gab es eine Kiste mit diesen Heften. Und die habe ich damals zusammen mit Freundinnen entdeckt. Natürlich haben wir darüber gelacht, aber es war ja auch irgendwie unterhaltsam. Wir haben uns das dann gegenseitig vorgelesen. So sah meine erste Berührung mit dem Groschenroman aus. Und ganz hat mich dieses Erlebnis offenbar nie losgelassen, denn bei aller Trivialität gibt es da ja doch etwas, das einen da antriggert.

Was war das denn damals für ein Genre?

Das war – natürlich – ein Liebesroman.

Sind Groschenromane in Ihren Augen Literatur?

Erstmal ist ja allein vom Wortsinn her alles Geschriebene Literatur. Und hier handelt es sich um Trivialliteratur, was ja per se nichts Schlechtes ist. Auch sie hat ihr Publikum – und das ist übrigens größer, als man denkt.

Wer liest solche Romane?

Meine Oma zum Beispiel. Und sie steht für die Generation der älteren Menschen, die früher einen treuen Leserkreis bildeten. Groschenromane haben einen festen Umfang: immer 64 Seiten. Und die Geschichten gehen immer gut aus, das ist sehr wichtig. Die Generation meiner Großmutter stirbt aber langsam aus, was man auch beim Umsatz mit Groschenromanen merkte: Der brach nämlich ein. Aber durch die thematischen Pendants im Fernsehen, die Arzt- und Krankenhausserien als filmische Umsetzung der vom Groschenroman sozusagen vorgegebenen Themen, steigt der Absatz tatsächlich wieder an. Und was ganz komisch ist: Das hat auch mit dem Aufkommen der E-Books zu tun.

Wieso das?

Dass wir uns hier über den Groschenroman unterhalten, zeigt ja, dass er etwas Exotisches, irgendwie Seltsames ist. Wahrscheinlich trauen sich viele Menschen nicht, so etwas in der Öffentlichkeit zu lesen. Was mir übrigens auch so geht. (grinst) Ich schaue da auch immer ganz distanziert und streiche was an, damit das auch wirklich nach Recherche aussieht. Fakt ist: Seit es das E-Book gibt, steigt der Absatz wieder.

Kennen Sie eigentlich Autoren persönlich?

Nein, aber das würde ich unheimlich gerne. Es gibt eine Autorin, Anna Basener, die hat auch ein Buch verfasst, wie man Groschenromane schreibt. Das ist eine echte Koryphäe der Szene, eine ganz junge Frau, die auch selbst solche Geschichten schreibt. Ich habe schon mal überlegt, ob wir was zusammen machen könnten. Mal schauen.

Wie hat sich denn die Idee entwickelt, daraus ein abendfüllendes Kabarettprogramm zu machen? Sie haben damit ja eine ganz eigene Nische gefunden.

Ich würde gerne etwas anderes antworten, aber das ist gar nicht bewusst passiert. In Berlin gab es eine Ausstellungsreihe im Kunstbereich zum Thema „Ein unguter Ort – besser als die Welt“. Die Galerie kam auf mich zu und fragte an, ob ich nicht etwas zum Thema „Heile Welt“ lesen könnte. Das war für mich eben die Welt der Groschenromane, fast schon ein Symbol dafür. Ich habe da spontan Szenen aus Arztromanen gelesen und das war der Renner. Die Idee war, dass man kurz reinkommt, ein bisschen zuguckt und dann wieder geht. Die Leute wollten aber auf jeden Fall den Schluss hören und wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Die intellektuelle Welt entdeckte also die Lust am Trivialen?

Stimmt, denn als nächstes kam die Akademie der Künste und fragte, ob ich für eine Veranstaltung nicht eine Essenz dieser Groschenromane schreiben könnte. Das habe ich dann gemacht – als abendfüllendes Programm, allerdings noch ohne Musik: eine Stunde Groschenromane, mit sehr erheiternden Diskussionen im Anschluss. Dann wurde ich immer wieder für Literaturfestivals angesprochen. Schließlich kam der Auftrag für die „Lange Nacht der Wissenschaften“ in Berlin, ob ich nicht als Gedankenexperiment ein philosophisches Thema in diese Geschichten einarbeiten könnte. Das machte ich, fand das aber ein bisschen dürftig, weil ich eben philosophisch nicht so bewandert bin. Also wollte ich das mit Musik unterfüttern. Auf einer Veranstaltung hatte ich Dirk Rave kennengelernt und so kamen wir zusammen. Ja, und dann wurden wir von einer Agentur entdeckt und es wurde ein Kabarettprogramm.

Nach Mutti- und Arztromanen nehmen Sie sich in Ihrem dritten Programm das Thema Heimat vor. Wie gehen Sie da vor?

Das erste, Schwester Cordula, war eher Zufall. Und als klar wurde, dass wir da weiter machen würden, habe ich mich richtig in das Genre des Groschenromans eingearbeitet. Und jetzt hatte ich ja nur die Wahl zwischen Fürsten, Western oder eben Heimat. Eigentlich fand ich Western sehr schön, doch diese Romane sind wirklich sehr, sehr einfach geschrieben. Da kommt sehr viel Erotik drin vor, also das sind fast schon Porno-Western. Auf das Heimat-Thema bin ich über einen interessanten Umweg gestoßen, denn ich befasste mich mit Insekten und ihren Staaten. Und das habe ich nun im neuen „Unsern Bub, den kriegst Du net“ zusammengebracht. Ich beschränke mich ja nie allein auf den Groschenroman: In das Mutti-Programm habe ich beispielsweise die Biografie von Boris Becker eingearbeitet. Das fand ich faszinierend.

Nun geht es also um Heimat. Da könnten Sie ja fast schon eine politische Komponente einbauen?

Das finde ich eher schwierig, weil es eher oberflächlich geschehen würde. Natürlich könnte man permanent Horst Seehofer und sein Heimatministerium zitieren. Doch damit würde man dem Groschenroman-Thema eine Dimension verleihen, die es einfach nicht hat. Heimat ist hier immer Bayern oder Österreich. Es gibt immer Berge, alle sprechen Dialekt. Das ist Heimat – inklusive tollwütiger Stiere, schießwütiger Wilderer, verfeindeter Familien, feuriger Jungbauern, schöner Maiden, heißblütiger Nebenbuhlerinnen, missgünstiger Schwiegereltern, pfiffiger Knechte und rotwangiger Mägde.

Welche Rolle kommt der Musik in Ihren Programmen zu?

Sie ist existenziell wichtig für die Wirkung. Daher bezeichne ich das, was ich mache – überschrieben ist das Ganze ja immer mit „Schwester Cordula liebt Groschenromane“ – keinesfalls als Soloprogramm. Ich kann das auf der Bühne ja nur so exaltiert darstellen, weil ich Dirk als ruhigen Gegenpol habe. Das Durchgeknallte braucht den Ausgleich.

Wo liegen denn bei Ihnen die Grenzen: sowohl der literarischen Zumutbarkeit als auch der Darstellung? Schließlich gibt es ja noch die erotischen Baccara-Romane…

Es existiert tatsächlich eine beachtliche Fülle an Themen, die von den Groschenromanen aufgegriffen werden. Die Baccara-Romane habe ich übrigens schon im Programm „Ein Mutterherz aus Eis“ verarbeitet, da gibt es ja eine pikante Bettszene. Eine Grenze ist für mich erreicht, wenn sich in einem dieser Romane rassistische Tendenzen abzeichnen. Das gibt es zwar heute kaum mehr, da wird durchaus drauf geachtet. Aber in früheren Arztromanen konnte man tatsächlich von „kleinen Negerkindern“ lesen. In den Western-Romanen haben die Helden scheinbar ununterbrochen Sex – und zwar immer mit Indianerinnen, die ja viel besser als die weißen Frauen sind. Das ist schon als Leser schwer erträglich. Und nicht darstellbar.

Wie reagieren Sie dann?

Es ist absurd, wie einen die Realität selbst in den Groschenromanen immer wieder einholt. In meinem Mutti-Programm gibt es eine Flugzeugentführung. Wir spielten das auch an dem Tag, als dieser junge Pilot das Flugzeug in selbstmörderischer Absicht in den französischen Alpen abstürzen ließ. Oder es gibt einen Amoklauf in der Schule, was ja leider auch in der Realität passiert. Da habe ich manchmal schon Angst, dass es geschmacklos wird. Aber so ist die Welt in den Groschenromanen eben auch zuweilen.

Am 24. März starb die Autorin Rosamunde Pilcher. War das für Sie ein schlimmer Tag?

Natürlich, denn Rosamunde Pilcher hat viel geschrieben und damit viele Menschen erreicht, ja: sie für ein paar Stunden glücklich gemacht. Das ist eine großartige Leistung. Wie es überhaupt eine Herausforderung ist, solche Geschichten zu schreiben. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, denn für meine Programme bin ich ja ebenfalls Autorin. Es ist eine Gratwanderung, bei belächelten Genres nicht selbst sarkastisch zu werden oder in die Satire abzugleiten. Das mache ich dann lieber auf der Bühne.

Wer die Besprechungen von Saskia Kästners ersten beiden Programmen lesen möchte, gebe einfach „Schwester Cordula“ in die Suchmaske ein. schreibwolff.de wünscht viel Spaß bei der Lektüre!

zurück