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Bauer Blasi, Bulle Basti und die hinterhältige Heidi

MAINZ (24. Mai 2019). Business as usual: Eine hübsche Frau findet die Liebe ihres Lebens, doch das Schicksal zieht erst mal ihre böse Widersacherin vor; die kommt dann gerechterweise ums Leben, der Geliebte ist wieder frei, Happy End. Das ist das Grundgerüst eines Groschenromans – egal, ob es um Ärzte, Mütter oder Förster geht. Und wer glaubt, in unserer Zeit habe diese stets auf 64 Seiten gestanzte, heile Welt keinen Platz mehr, der besuche mal eine Bahnhofsbuchhandlung oder klicke sich im Netz durch die Seiten der Verlage Kelter oder Cora: Über das Ausmaß dieser literarischen Parallelwelten wird er erstaunt sein. Oder entsetzt.

Die Berliner Schauspielerin und Sängerin Saskia Kästner hat sich seit Jahren diesem Auswuchs des gedruckten Wortes verschrieben, bürstet ihn kräftig gegen den Strich und bastelt aus der abstrusen Handlung durch ironische Brechung und klug kommentiert immer wieder neue Theaterstückchen, die sie dann mit ihrem Bühnenpartner Dirk Rave musikalisch ausgebaut auf die Bühne bringt. Für ihr drittes Programm hat der Protagonist den weißen Kittel ab- und grünes Loden angelegt. Derart krachledern – Kästner trägt Tracht und Rave wurde in Lederleggins geschossen – heißt es nun: „Schwester Cordula liebt Heimatromane – Unsern Bub, den kriegst Du net!“

Auch wenn es weht tut, sei die Handlung kurz erzählt: Die naive Sennerin Miriam kommt aus dem Gießener Exil zurück in ihre (natürlich) bayerische Heimat, wo sie auf den Bauern Blasius trifft. Dass der ausgerechnet Hofreiter heißt, erschwert es einem zwar anfangs, die im Groschenroman wörtlichen Schilderungen seiner Hühnenhaftigkeit nachvollziehen zu können, doch nach den Maßstäben der Rassenkunde ist „Blasi“ wohl ein gestandenes Mannsbild. Er rettet „Mimi“ vor einer Maus [sic!] und kommt ihr bei seiner ersten Maß Bier am Tag [sic!] so nahe, dass sie schnell in der Kiste landen.

Doch da der Hofreiter-Hof kurz vor der Pleite steht, wollen die Eltern ihren Filius lieber mit der schwerreichen Bürgermeistertochter Heidi verheiraten. Man erinnert sich an den Titel: „Unsern Bub, den kriegst Du net!“ Heidi möchte, was keiner ahnt, das Anwesen indes abreißen, um dort ein Wellnessparadies mit Reitbeteiligung zu errichten. Ein Anschlag auf das junge Glück durch den provozierten Bullen Basti, der mit Blasi offenbar noch eine Rechnung offen hat, scheitert durch die Tierliebe Mimis und wird zum gefühlten Kuhkuscheln.

Halten Sie durch, liebe Leser – und goutieren Sie ruhig mal, dass hier für Sie 64 Seiten zusammengefasst werden. Bauer Basti heiratet nach sexueller Überzeugungsarbeit (rurales Rammeln auf dem Rücken eines Rappen) unglücklich die hinterhältige Heidi, während der Zuschauer notabene erfährt, dass die Maid Mimi vom One-night-Stand auf der Alm guter Hoffnung ist (das ländliche Idyll scheint das Alliterations-Hormon Inkabausin auszuschütten). Die sensible Sennerin muss jedoch erst mal in den Hintergrund treten und zieht zwei Dörfer weiter.

In der Zwischenzeit brennt die böse Heidi den Hof nieder [sic!], dessen Versicherungsschutz leider nicht greift. Man lernt: Am Schluss siegt die Gerechtigkeit. So auch in diesem „Roman“: Beim Showdown in der Schonung streckt Basti in Notwehr seinen wildernden Schwager nieder und wird von seiner ebenfalls schießwütigen Gattin rachsüchtig in den Tann gejagt. Wie kommt er da wieder raus? Richtig: Bulle Basti spürt, dass sein neuer Freund in Gefahr ist und brüllt derart, dass das Gebirge in sich zusammenfällt und Heidi unter sich begräbt, was sich Johanna Spyri wohl nicht hätte träumen lassen. Blasi ist jedoch noch nicht gerettet, sondern hängt im Massiv, wo ihn Mimi findet. Sie gestehen sich erneut ihre Liebe und endlich, ja endlich wird alles gut. Geben Sie’s zu: Sie wollten doch auch wissen, wie die Geschichte ausgeht. Und außerdem: So steht es geschrieben [sic!].

Wie bringen Saskia Kästner und Dirk Rave das nun in anderthalb Stunden auf die Bühne? Äußerst lebendig und unterhaltsam: durch Kostüm, Musik, rasanten Rollentausch, überdrehte Mimik und Gestik, so dass sich auch der abstruseste Handlungsstrang als roter Faden eignet. Daran sicher angebunden steigt Kästner immer wieder aus der Handlung aus, um von einer anderen Warte aus zu erklären, dabei zu hinterfragen und Hintergrundinformationen zu liefern. Wie balzt beispielsweise der Paradiesvogel? Kästner tanzt es vor. Man erfährt von einem Youtube-Tutorial, wie man sich dirndlkompatible Grübchen zufügt und lernt, dass der traditionelle Umhang aus gewalkter Wolle Lodenkotze heißt. Wenn die Geschichte um Blasi und Mimi aber weitergeht, ist man sofort wieder mittendrin.

Dirk Rave erweist sich in diesem Programm als begeisterter Entomologe und referiert passend zu Szenen aus dem Groschenheft Anschauliches aus der Insektenkunde. Außerdem spielt er wieder fabelhaft Akkordeon, was natürlich wunderbar zur heimatlichen Idylle passt. Beide intonieren stimmgewaltig populäre Titel und Hits aus der Klassik, darunter aus Bizets „Carmen“ und Mozarts „Zauberflöte“. Wie immer wird die simple Handlung des Groschenromans zu einem Abend voller Witz und Musik aufgebläht. Und mit diesem Wind im Rücken segelt das Publikum unter weiß-blauem Himmel mit Verve durch den Latschenkieferhain.

Fazit einer gelungenen Premiere: Auch das Thema Heimat haben Saskia Kästner und Dirk Rave nun also erfolgreich aufs Tapet gebracht – und dabei erneut lustvoll an der Oberflächlichkeit der heilen Welt gekratzt. Am Schluss keimt die Einsicht: So schlimm wie in den bayerischen Bergen ist es in den heimischen Gefilden gar nicht. Zur Sicherheit wird man in Zukunft aber doch mal genauer hinschauen, wen der benachbarte Winzersohn da vielleicht ehelichen will – oder soll…

Eine Interview mit Saskia Kästner können Sie hier lesen: http://schreibwolff.de/kleinkunst/schwester-cordula-im-interview-2019.

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