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Süßer die Glocken nie klingen

13.März 2022 (MAINZ). Was ist eigentlich aus dem Preis für die beste Fleischwurst in Mainz geworden? Und aus dem für das beste Speiseeis der Landeshauptstadt? In die entsprechenden Jurys war Ce-eff Krüger, damals einer der Chefs im Unterhaus, Anfang der 1970er-Jahre berufen worden. Keine Frage: Beide Produkte sind sicher aller Aufmerksamkeit wert. Schließlich gab es seinerzeit für alles einen Preis, erinnert sich der heute 84-Jährige.

Was es damals noch nicht gab, war ein Preis für Kleinkunst. Und genau das inspirierte die Unterhaus-Betreiber Renate Fritz-Schillo, Artur Bergk und Ce-eff Krüger, einen solchen auszuloben. So, erzählt Krüger, kam es zum Deutschen Kleinkunstpreis, denn man wollte weder lokal noch regional auszeichnen: Wenn schon, denn schon. Und es wurde eine Erfolgsgeschichte – nicht nur für die ausgezeichneten Künstler, denen der Preis fortan so manche Theatertür öffnete, sondern auch für das Unterhaus selbst. Der Bekanntheitsgrad der damals noch jungen Kleinkunstbühne wuchs schlagartig, die Namen der Preisträger standen bundesweit in allen Gazetten. Auch die heutigen Geschäftsführer des Unterhauses Britta Zimmermann und Gianluca Caso schätzen die ungebremste Zugkraft der Traditionstrophäe: „Es ist toll, wenn frühere Preisträger immer wieder gerne zu uns kommen. Der Kleinkunstpreis ist für sie und uns gleichermaßen ein Gütesiegel und verbindet uns alle zu einer großen Familie.“

Die Idee hierzu wurde 1971 geboren. 150 Briefe verschickten die Unterhäusler an Theater, Veranstalter, Journalisten, Künstler: Wer könnte den Preis wohl erhalten? Einer ärgerte sich darüber sehr: der Sportreporter und Regisseur Sammy Drechsel, der 1956 mit Dieter Hildebrandt die legendäre „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ gegründet hatte. „Der wollte auch einen Kleinkunstpreis schaffen, aber wir waren schneller“, erinnert sich Ce-eff Krüger amüsiert. Aus den Rückläufen ergab sich ein recht klares Bild: Die Mehrheit schlug den in Mainz lebenden Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch vor und am 11. März 1973 wurde der Preis erstmals verliehen – seitdem (mit einer Ausnahme 1996) jedes Jahr und das selbst im tiefsten Coronalockdown, wenn da auch nur virtuell.

Am 6. März fand nun die Verleihung des 50. Deutschen Kleinkunstpreises statt – Pandemie bedingt jedoch nicht im Unterhaus, sondern im Frankfurter Hof. Josef Hader, Katie Freudenschuss, Camela de Feo, Timo Bomelino, Thomas Freitag und Till Reiners heißen die Träger 2022. Nachdem der allererste Preis an nur einen Künstler vergeben worden war, machte die Auszeichnung einen Wandel durch: Sie vervielfältigte sich. 1975 folgte die Aufteilung in die drei Sparten Kabarett, Kleinkunst sowie Musik, Chanson & Lied, 1976 kam eine weitere dazu: der Förderpreis der Stadt Mainz. 2008 gesellte sich auch das Land Rheinland-Pfalz in die Reihe der Verleiher und stiftet seitdem den Ehrenpreis. Seit 2021 trägt das Unterhaus der Tatsache Rechnung, dass sich viele Künstler eher als Comedians sehen, weswegen es mittlerweile auch die Sparte Stand-up-Comedy gibt.

Mittlerweile haben die Juroren also richtig viel zu tun. Traditionell im November trifft sich eine Gruppe aus 15 bis 20 „Kleinkunstsachverständigen“, wie damals aus Theaterkreisen, Presse, Funk und Fernsehen. Früher versammelte man sich in der Privatwohnung von Ce-eff Krüger in der Walpodenstraße: „Es gab 21 Jurymitglieder, denn in unserem Wohnzimmer, einem runden Salon, war genau Platz für so viele Stühle.“ Im Kreis sitzt man auch heute noch und das Prozedere ist seit 50 Jahren dasselbe: Reihum werden die jeweiligen Kandidaten nominiert, in einer nächsten Runde folgen dann die Begründungen. Hat sich jeder für seine Kandidatin oder seinen Kandidaten stark gemacht, wird abgestimmt: Nach und nach scheiden die Nominierten mit den wenigsten Stimmen aus – bis zum Schluss ein Name feststeht. Nun wird die oder der Gewählte angerufen und muss zwei Bedingungen erfüllen: Sie oder er muss den Preis annehmen und am Tag der TV-Aufzeichnung der Verleihung in Mainz auftreten. Abgelehnt wurde die Ehrung bislang nur einmal. Obwohl ja bereits eine Nominierung großes Lob wäre, bleiben die jeweils diskutierten Namen streng geheim. Und manche kommen immer wieder zur Sprache – vielleicht klappt es ja dieses Jahr?

Zuweilen werden Entscheidungen heiß diskutiert – und nicht nur hier: Als Wolfgang Neuss, der aus seinem Faible für bewusstseinserweiternde Substanzen keinen Hehl machte, 1983 den Deutschen Kleinkunstpreis erhielt, ätzte der Mainzer Fastnachtsredner Jürgen Dietz als „Bote vom Bundestag“, dass das Unterhaus nun den Drogenkonsum des Kabarettisten finanziere. Manche Preisträger konnten den Schwung der Auszeichnung nicht nutzen und sind wieder von der Bildfläche verschwunden, für andere, wie 1985 für Erwin Grosche, war der Förderpreis Animation zum Weitermachen und verhalf zum Durchbruch. 1999 erhielt der Sprachkünstler den Preis erneut, diesmal in der Sparte Kleinkunst. Heute gehört der kleine Paderborner zu den ganz Großen der Szene.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – die Namen aller Ausgezeichneten finden sich auf der Homepage des Mainzer Unterhauses. Bis heute wurde die berühmte Glocke als Trophäe über 200mal überreicht – verbunden mit einem Scheck (aktuell über jeweils 5.000 Euro). Die Schelle ist eine Replik der berühmten Bimmel, mit der man jeden Abend im Unterhaus die Vorführung einläutet. Sie wird von der Firma Bohniverse in Hechtsheim produziert, das Gestell kommt von der Gonsenheimer Werkstatt für Metallgestaltung Gradinger, die Gravuren führt die Goldschmiede Häger in der Altstadt aus. Läutete man alle bislang verliehenen Glocken gleichzeitig, würden sie wahrscheinlich die des Doms übertönen.

Die Dotierung des Preises übernimmt das ZDF, das die Preisverleihung von Beginn an aufzeichnet. Mit einer Auszeit, die in die Annalen des Unterhauses eingegangen ist: Als Gerhard Polt den Deutschen Kleinkunstpreis 1980 erhalten sollte, kündigte er als Beitrag zur Verleihung – die Künstler präsentieren hier seit jeher Kostproben ihres Könnens – eine „Rede zur Satire-Freiheit im ZDF“ an. Vorausgegangen waren Forderungen nach Streichungen von bestimmten, den Senderverantwortlichen missfallenden Stellen samt Androhung einer Konventionalstrafe – mit einem Wort: Zensur des Kabaretts durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Polt nutzte seine Sendezeit nun für einen genialen Streich: Er redete fünf Minuten über das Thema, ohne etwas zu sagen – und sprach damit deutliche Worte. Im Wortlaut kann man diese Nummer im Buch „Kleinkunst – auf Teufel komm raus“, das anlässlich des 25-jährigen Unterhaus-Bestehens erschien, nachlesen und auch auf YouTube sehen. Das ZDF hatte damals allerdings weniger Humor und stieg für zwei Jahre als Sender und Finanzier des Preises aus.

Heute hat mit Formaten wie der „heute show“ und „Die Anstalt“ auch die Satire wieder einen festen Sendeplatz, so dass man mit dem Zweiten tatsächlich wieder besser sehen kann. Dazu gehört auch die alljährliche Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises im Frühjahr. Am Nachmittag vor der für das Fernsehen aufgezeichneten Veranstaltung findet eine öffentliche Generalprobe statt. Tritt hier noch ein „OB-Double“ auf, überreicht der Mainzer Oberbürgermeister den Förderpreis am Abend dann persönlich. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, in der Generalprobe sei die Stimmung viel besser als am Abend, denn die geladene Prominenz gehe zum Lachen oft lieber in den Keller als ins Unterhaus.

Gelacht wurde in diesem Jahr also endlich wieder live. Und sich riesig gefreut, wie im Gespräch mit den Ausgezeichneten deutlich wurde. So ist es für Katie Freudenschuss eine große Ehre, „vor allem beim Lesen derer, die diese Auszeichnung schon erhalten haben“. Till Reiners betrachtet den Preis auch als „Vertrauensvorschuss“ und Camela de Feo jubelt: „Es fühlt sich an wie ein Lottogewinn: Ich habe den Jackpot!“ Josef Hader, für den das Mainzer Unterhaus eine der ersten Bühnen war, die er in Deutschland bespielte, ist sogar Wiederholungstäter, denn 1990 erhielt er die Trophäe bereits in der Sparte Kleinkunst: „Der deutsche Kleinkunstpreis, den ich jetzt bekomme, ist für mich ein Ausdruck langjähriger Wertschätzung, die ich hier empfangen habe. Vielleicht ist das überhaupt das Schöne an meinem Beruf: dass ich zu Freunden reisen kann und mit ihnen arbeiten. Und ihnen vorspielen, was ich mir diesmal ausgedacht habe.“

Thomas Freitag sinnierte ironisch: „Als ich im Jahr 1978 erstmals im Unterhaus auftrat, konnte ich noch nicht ahnen, dass man mir bereits im Jahr 2022 einen Ehrenpreis für mein Lebenswerk überreichen würde. So früh hatte ich damit wirklich nicht gerechnet.“ Freitag nahm die Auszeichnung an diesem Abend dabei nicht nur für sich entgegen, sondern auch stellvertretend für alle, „die in früheren Tagen dafür sorgten, dass sich der Schauspieler und der politische Kabarettist nie im Weg standen“: Namentlich nannte er unter anderem seinen 2021 verstorbenen, langjährigen Regisseur Horst-Gottfried „Rufus“ Wagner und den großartigen Kabarettautor Dietmar Jacobs: „Als einer, der vom Theater kommt, war mir stets bewusst, dass der Erfolg eines Programms immer viele Väter hat.“

Auch aus Mainz kommen zwei Kabarettisten, die den Deutschen Kleinkunstpreis schon zuhause stehen haben. Lars Reichow erhielt ihn 1996/1997 in der Sparte Kleinkunst, Tobias Mann gleich zweimal: 2008 als Förderpreis und 2017 in der Sparte Kabarett. Reichow erlebte den „Zwerchfell-Oscar“ wie eine Zündung, einen „Karriere-Booster“. Und Mann erinnert sich, durch die Ehre des Preises anfangs durchaus etwas eingeschüchtert gewesen zu sein: „Mit dieser Auszeichnung schließt man ja sozusagen einen unausgesprochenen Deal, nach dem man auch künftig in seiner Bühnenarbeit dem Titel ‚Kleinkunstpreisträger‘ gerecht werden muss. Somit ist der Preis in meinen Augen zuallererst ein Ansporn, immer weiter an sich und seiner Kunst zu arbeiten.“

Und nicht nur das immer wieder aufs Neue: „Dieser Preis zeigt, wie bunt, abwechslungsreich und frisch die Kleinkunstszene ist. Tradition und neue Strömungen existieren neben- und fließen ineinander. Und das dokumentiert doch, wie spannend die Szene immer noch ist.“ Für Mann ist es wie beim Boxen: „Die Glocke verkündet die nächste Runde!“. So wie jeden Abend im Unterhaus und auch im kommenden Frühjahr, wenn der erste und wichtigste Kleinkunstpreis dieses Landes in seine zweite Jahrhunderthälfte geht.

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