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Meister im Leistungsspott

MAINZ (17. November 2016). „Tja“, hört man die Stimme aus dem Off: „Da steht ein Kabarettist hinter der Bühne und fragt sich, wie das alles wohl werden wird?“ Diese Frage kann auch René Sydow nicht beantworten, zumindest nicht en detail.

Aber er hat sich Gedanken gemacht, wie bereits in seinem ersten Kabarettsolo, das den bezeichnenden Titel „Gedanken! Los!“ trug – nun spielt Sydow „Warnung vor dem Munde!“. Auf dem Plakat sieht man ihn hinter Gittern mit gefletschten Zähnen – auf der Bühne will er „nur spielen“. Und das tut er mit Verve, denn der Kabarettist hat auch reichlich Erfahrung auf Schauspielbühnen und vor der Kamera gesammelt.

Trotzdem ist das, was man da im kleinen Unterhaus erlebt, nicht nur eine Rolle: Sydow nennt Dinge beim Namen und zeigt Denkansätze auf, die er an markanten Kritikpunkten vertäut: Hätten sich früher Studenten aus Protest festgekettet, wollten heute die meisten Karriere bei McKinsey machen, werden die „inneren Werte der Oberfläche“ umrissen. Themen gibt es genug, dabei geht Sydow alles zu schnell, so dass er Verzicht üben will. Doch wie kann er das, ohne die Werbewirtschaft zu düpieren?

Das Tempo, das an diesem Abend angeschlagen wird, ist durchaus gewöhnungsbedürftig und projiziert das Leiden am Überfluss trefflich, macht es erlebbar. Doch leider krankt der Vortrag zweitweise genau daran, denn so können die wundervollen Wortspiele gar nicht genug goutiert werden und mancher Geistesblitz erlischt, bevor er erfasst wird. Dabei betreibt Sydow durchaus „Leistungsspott in den Disziplinen Zeilensprung und Maulwurf“.

Da ist die AfD, mit der man nach Sydow nur die „Fratze im Sack“ kaufe, da ist der Rettungsschirm, der als Knirps nur den Banken diene, das Volk aber im Regen stehen lasse, überall lauert der „kategorische Imprimitiv“ – René Sydow gibt in „Vorsicht vor dem Munde!“ den galanten Hofnarren, der im feinen Zwirn über eine vielerorts aus den Fugen geratenen Welt parliert.

Der Plauderton kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Künstler Ernst ist: „Der Kopf ist nicht nur zum Schütteln da“, ermuntert er sein Publikum zum eigenen Denken als Akt des zivilen Ungehorsams. Im Iran hingegen dürfe man nicht tanzen, am heutigen Tag seien wieder rund hunderttausend Menschen verhungert und drei Tierarten ausgestorben. Wie könne einem also nach Unterhaltung zumute sein, fragt Sydow rhetorisch. Die Antwort gibt es in Form von geballtem Polit-Kabarett mit Witz und Tiefgang, das zum Zuhören zwingt.

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