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Zwischen Tofu und Toskana

MAINZ (14. November 2015). Der Kabarettist Thilo Seibel hat sich viel vorgenommen, wenn er „das Böse“ in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft demaskieren möchten. Laut Programmtitel ist es zumindest „verdammt gut drauf“.

Im kleinen Unterhaus gerät der Kleinkünstler denn auch gleich mal ins Philosophieren: Was ist gut, was ist böse? Die Tragik seines Gedankenspiels ankert in der Aktualität: Einerseits habe die Europäische Union 2012 den Friedensnobelpreis erhalten, andererseits verhalte sie sich angesichts der Flüchtlingsströme im Großen und Ganzen doch nicht so human wie erhofft.

Ausnahme Deutschland? Mit Merkel, in den Augen des Kabarettisten süffisant als „Mutter Theresa“ erscheinend? Seibel geht einen Minister nach dem anderen durch. Doch wirkluch Böses findet er nicht, dafür viel Dummes: den Verkehrsminister „Doofprinte“, den „Multi-Tasking-Versager de Maizère“, SPD-Frontfrau Nahles. Nach der bewährten Schrotschuss-Manier bekommt jeder sein Fett ab – mal etwas origineller, mal eher oberflächlich, an Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen orientiert.

So richtig Stimmung will im Unterhaus an diesem Abend nicht aufkommen, den direkten Draht zum Publikum findet Seibel nur selten. Dabei hat der Kabarettist durchaus Potenzial: Wenn er die Mittelschicht mit drei Begriffen klassifiziert – „Toskanaurlaub, Tofusteak und Kabarett.“ –, kratzt er genüsslich am wunden Punkt.

Seibel erweist sich als belesener Chronist, wenn er die die vergangenen und aktuellen Skandale und Themen aufzählt: DFP, VW, AfD, Pegida – manches ist in der Tat ganz schön böse. Und irgendwann hat er das Übel schlechthin ausgemacht: den Neoliberalismus, auch wenn die FDP bereits kränkelnd darniederliegt. Die ungleiche Vermögensverteilung im Land wird angeprangert, nicht ohne den berechtigten Hinweis, dass es anderswo noch viel „habenichtsigere Habenichtse“ gebe als bei uns.

Seibel hat Recht – und liegt doch daneben, denn die Schelte geht eigentlich an die falsche Adresse. So wortgewandt und pointenreich der Kabarettist das Böse zu umzingeln versucht, so schmerzlich bleibt die Lücke, die erst in allerletzter Sekunde geschlossen wird: Wer mahnend den Zeigefinger in Richtung des Gegenübers ausstreckt, zeigt doch mit drei Fingern auf sich selbst.

In der Schlussnummer lässt Seibel Vater und Sohn in 50 Jahren miteinander reden: Der Jüngere beschwert sich über die marode Umwelt, der Ältere muss zögernd einräumen, von den Gefahren gewusst, sie jedoch ignoriert zu haben. Ein Apell ist nur im Subkontext zu hören – zuvor fehlte er ganz: Hierzulande ist das vermeintlich Böse in der Politik demokratisch legitimiert, wird das Gebaren der Marktwirtschaft durch den eigenen Konsum über weite Strecken mitgetragen – auch von Toskanaurlaubern, Tofuessern und Kabarettbesuchern. Hierauf hätte Seibel viel öfters hinweisen sollen, ja müssen.

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