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„Das Erreichte ist nicht selbstverständlich“

MAINZ (28. Februar 2022). Der Kabarettist Thomas Freitag erhält am 6. Dezember den Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz zum Deutschen Kleinkunstpreis. Der 71-Jährige ist überzeugter Europäer und nutzt auch die Bühne, um für die Idee eines gemeinsamen Europas zu werben. Im Gespräch mit dieser Zeitung berichtet der Künstler unter anderem über seine Ängste um den Frieden stiftenden Staatenbund.

Herr Freitag, warum gibt es in Ihren Augen keine Alternative zur europäischen Idee?

Thomas Freitag: Nach Jahrhunderten, in denen der Krieg legitimes Mittel war, um auf vermeintlich Unstimmigkeiten oder die Verletzung eigener Eitelkeiten zu reagieren, um Machtansprüche oder die Unterwerfung einzelner Völker durchzusetzen, aber insbesondere eben nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, haben kluge Männer darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoller ist, endlich zu einem friedlichen Miteinander, einer friedlichen Kooperation zu gelangen und es einmal mit Verständigung zu versuchen. Das war eine neue Politik, die zunächst dazu geführt hat, dass Sie und ich unser bisheriges Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand verbringen konnten. Der Balkankrieg war hier zunächst ein leidvoller Einschnitt, konnte aber relativ befriedet werden, wenngleich ein Grummeln unter bestimmten Volksstämmen immer noch zu vernehmen ist.

Was ändert der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine?

Thomas Freitag: Auch wenn jetzt der ehemalige Geheimdienstler – den ich in seiner kriminellen Energie, mit der er seine Macht in Russland gefestigt hat, übrigens nie unterschätzt habe – dieses freie demokratische Europa brutal angreift, gibt es zur europäischen Idee keine Alternative. Es gibt ja den Spruch „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht. gefällt.“ Nun, so fromm waren wir mit unserem gewinnstrebenden Geschäftsgebaren bisher leider auch nicht. Denn wirtschaftlich gesehen machen wir, die Demokratie Deutschland, eben auch mit undemokratischen Systemen nach wie vor gute Geschäfte. Moralisch gesehen ist das ein hoher Preis. Dennoch komme ich als ehemaliger Wehrdienstverweigerer mit meiner Alterserfahrung doch zu der Erkenntnis, dass solche Despoten wie Putin nur mit militärischer Abschreckung zu beeindrucken sind. Europa sollte sich militärisch neu aufstellen – allein schon, weil es möglich werden kann, dass ein Trump als nächster amerikanischer Präsident die ehemalige Schutzmacht USA aus der Nato löst. Dann ist das freie Europa wirklich nur noch auf sich gestellt.

Sehen Sie den europäischen Gedanken in Gefahr?

Thomas Freitag: Die Gefahr von außen – und da gibt es ja nicht nur den Autokraten Putin – habe ich bereits beschrieben. Sie kommt bei uns aber auch von innen: Eine kleine, aber lautstarke Minderheit nimmt die Corona-Pandemie und das leidige Impfthema zum Vorwand für ein ganz anderes Ziel: nämlich unser Wertesystem verächtlich zu machen, es abzuschaffen. Somit bündelt ihr Protest gegen die Corona-Maßnahmen grundsätzlich auch alle anderen Vorbehalte wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie und was sonst noch dem schlichten Gemüt hier aufstößt. Dazu benutzt sie zunehmend Symbole aus der schrecklichen Nazidiktatur, und verhöhnt somit die vielen Opfer dieser verbrecherischen Systems. Zu diesen Aushöhlungen von innen kommen die Cyberattacken von außen, weil man aus der Anonymität des Netzes heraus unsere Verabredung, wie man gemeinsam miteinander umgehen sollte, untergräbt. Alle wohlmeinenden Europäer sollten zur Kenntnis nehmen: Das Erreichte ist nicht selbstverständlich, sondern muss jeden Tag neu erstritten werden. Unsere Demokratie kommt nicht aus der Steckdose.

Was kann jeder Einzelne denn da tun?

Thomas Freitag: Konstruktiv mitmachen. Sich engagieren. Wir müssen lernen die Zusammenhänge besser zu verstehen: Was kommt von was? Die Ausbeutung anderer Länder um den eigenen Wohlstand zu mehren, führt zu Verwerfungen. Denn die, die wenig haben, werden sich auf den Weg machen um dorthin zu gehen, wo es ihnen besser geht. Das schafft Konflikte, die man aushalten muss. Andererseits sollte alles, was zum Selbstzweck generiert, hinterfragt werde. Das betrifft die europäischen Institutionen in Brüssel genauso, wie alle anderen Strukturen, die sich verfestigt haben: der Verwaltungsapparate bei uns, aber auch Kirche, Schule, Ehe und vieles andere. Das ist alles sehr anstrengend. Aber einfache Lösungen gibt es nicht. Und wenn, setzen sie sich über den Widerspruch des Einzelnen hinweg und führen in den Unrechtsstaat. Eine freiheitliche Gesellschaft lebt vom Wertekanon, den sie sich gegeben hat. Wenn sich die Menschen daran nicht mehr halten, zerbricht das Ganze. Wichtig bleibt, dass die Menschen das Warum und Wieso nachvollziehen können. Ansonsten schwindet das Vertrauen.

Um diese Zusammenhänge zu erklären nutzen Sie das Kabarett. Warum ist gerade das eine geeignete Bühne?

Thomas Freitag: Ich bin Komödiant und will Themen transportieren. Auch Kabarett darf kein Selbstzweck sein und nur für Quatsch gehe ich nicht auf die Bühne. Es muss schon etwas Sinnstiftendes sein. Und nichts ist da doch heilsamer, als den Menschen mit seinen Schwächen zu treffen: wenn er mehr scheinen möchte als er ist – auch der Europäer. Aber mit ein paar Figuren bevölkert kann ich jedes Thema durch Übertreibung und Ironie begreifbar machen. Das muss natürlich auch Spaß bereiten und unterhalten.

Hören Ihnen nicht ohnehin Menschen zu, die nicht mehr von der europäischen Idee überzeugt werden müssen?

Thomas Freitag: (lacht) Ich habe mir nie darüber Illusionen gemacht, dass sich mein Publikum nach einer Vorstellung die Kleider vom Leib reißt und schluchzend bekennt, wie sehr es doch gefehlt hat. Das wäre auch anmaßend von mir. Es geht mir um was anderes: Auf der Bühne spreche ich Gedanken aus, von denen sich der eine oder andere Zuschauer vielleicht angesprochen fühlt, er sogar meiner Meinung ist. Das ist ein Akt der Solidarität. Wichtig ist doch – und das merkt man gerade in den Zeiten, in denen wir leben: Es gibt die Lärmer, die Krachmacher, Verleugner und Fakenews-Verbreiter, die mit lautem Geschrei auf die Straße gehen. Dabei ist die andere schweigende Masse doch viel größer: Wenn die auch auf die Straßen gingen, würde offenbar, was die anderen für ein pisseliger kleiner Haufen sind. Dieser großen Masse das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen ist die Aufgabe von uns Kabarettisten – wenn man so will: einen Tritt in den Arsch zu geben.

Der Kabarettist Thomas Freitag wurde 1951 im hessischen Alsfeld geboren und nahm nach dem Abschluss einer Lehre zum Bankkaufmann Schauspielunterricht. 1974 erhielt er am Stuttgarter Renitenztheater sein erstes Engagement als Schauspieler und Kabarettist. Nach etlichen Theaterrollen am Stadttheater Gießen holte ihn Kay Lorentz 1977 an das Düsseldorfer Kom(m)ödchen. Seit 1976 trat Freitag bundesweit mit bislang 16 Soloprogrammen auf. Einem breiteren Publikum wurde er auch als glänzender Parodist von Franz Josef Strauß, Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Kohl bekannt. Freitags aktuelles Programm trägt den Titel seiner 2020 im Frankfurter Westend Verlag erschienene Autobiografie „Hinter uns die Zukunft“.

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