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Die Flipperkugel des Kabaretts

MAINZ (21. Oktober 2018). Na der traut sich was: Tobias Mann behauptet in einem ein Lied, seine Frau könne angeblich nicht singen und ihre Stimmbänder seien gar als Waffen zu deklarieren. Darüber, wie der weitere Abend im Hause Mann verlaufen ist, liegen keine Informationen vor. Wohl aber über die Premiere seines neuen Programms „Chaos“, die der Mainzer Kabarettist jetzt mit Bravour meisterte.

Mann ist der hintersinnige Exportschlager der Landeshauptstadt schlechthin und beweist regelmäßig gemeinsam mit dem nicht minder brillanten Kollegen Christoph Sieber, dass sich das ZDF in puncto Kabarett mittlerweile zum Premiumsender gemausert hat. Doch der Bildschirm ist nicht die Bühne. Und auf ihr ist Tobias Mann noch mehr zuhause – zumal im Mainzer Unterhaus.

Angeblich ist er ausgebrannt ob der Nachrichtenflut, die nur eine von vielen Faktoren für das gesellschaftliche wie private Chaos ist. Doch das sind echte Fake-News, denn Mann hat einen scharfen Blick, mit dem er die Aktualität genau abscannt. Es geht um die wirklich relevanten Angelegenheiten des Sommers: zum Beispiel Wespen. Oder um die Bildung, deren Rückgang als die leibliche Mutter aller Probleme ausgemacht wird.

„Chaos“ ist nicht nur der Name des Programms, sondern beschreibt auch den bewussten Verzicht auf eine zu straffe thematische Stringenz: Wie eine Flipperkugel bewegt sich Mann zwischen Bayern-Wahl und AfD, Flüchtlingsstrom und Kindererziehung, wobei der Pointenzähler mit gefühltem Klingeln in die Höhe schnellt. Hasskommentare im Internet, der Umgang mit Ressentiments – manchmal formuliert Mann besonders perfide: „Vorurteile und Rassismus sind wie Ehepartner im Hunsrück – nahe Verwandte.“

Er stellt Sinnfragen und fordert Veränderung, wo sich Teile der Gesellschaft gegen alles Neue wehren, ihr Heil bei den falschen Propheten suchen. Doch Verzweifeln gilt nicht, auch wenn der Kabarettist sich sehnlichst wünscht, dümmer zu werden, um am Ist-Zustand der Welt nicht zu zerbrechen: „Mein Glaube an den Humanismus ist palliativ geworden.“ Am Schluss singt er, er wäre gerne Influencer. Doch zum Glück ist er das ja schon: In mittlerweile sechs Programmen und 13 Jahren als Solist hat er sich Gehör verschafft und trifft mit seinem Sprachwitz den Nerv immer punktgenauer.

Als sich die „Chaos“-Premiere dem Ende entgegenneigt, fühlt man sich bestens unterhalten, gut informiert und steht ein wenig weiter über den Dingen: Tobias Mann hat es einmal mehr geschafft, den eigenen Blick zu weiten und auf Wichtiges zu fokussieren. Wem also angesichts manch flachwitziger Comedians um die Zukunft des Kabaretts gelegentlich angst und bange ist, dem sei ein Abend mit diesem Mann empfohlen.

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