Erfrischend respektlos
MAINZ (23. Januar 2013). Langsam ist es nicht mehr en vogue, sich ein gutes neues Jahr zu wünschen. Kabarettisten haben daran ohnehin kein Interesse, denn je mehr zu zetern ist, umso mehr können sie satirisch spiegeln und daran ihre Profession schärfen.
Einer, der nach eigener Aussage das ganze Jahr ohnehin nur noch wegen der Möglichkeit des Rückblicks durchlebt, ist Mathias Tretter. Und wo andere brav Monat für Monat abarbeiten, schlängelt er sich höchst elegant durch die Eindrücke und Ereignisse der Vergangenheit, dass das Passieren zur Revue wird.
Locker schlendert er in sein Programm, hier im Unterhaus: „Die Briten wären froh, wenn sie ein solches hätten“, streift er tagesaktuell die Diskussion um Europa, um augenblicklich zum Oktoberfest zu springen. Angesichts der Dirndldichte hat er dieses „nur in Ausschnitten erlebt“, gefolgt von der „Adventswiesn“ auf Deutschlands Weihnachtsmärkten.
Unterhaltsames Warmlaufen für den ersten großen Wurf, denn schon ist Weihnachten: „Die CDU beschert uns Merkel und die SPD hat einen Kanzlerkandidaten, den sie sich schenken kann.“ Die Wahl in Niedersachsen hat sie gewonnen, aber zu welchem Preis? „Rösler und Steinbrück behalten ihre Posten. Letzterer rangiere in der Beliebtheit „zwischen Stalin und der Telekom“. Das erinnert Tretter an die Linke und ihre „Zählkandidaten zur Bundespräsidentenwahl“. Für die FDP allerdings freut er sich: „Nicht als Mensch, sondern als Kabarettist.“
Hier hat einer ganz klar den Spürsinn für thematische Tretminen, die er mit Pathos und Vorschlaghammer bearbeitet. Tretter fischt ein Thema heraus und filetiert es nach allen Regeln der Kunst. Die längst ausgediente CD feiert für ihn Renaissance: „Ganz vorne in den Charts: Schweizer Banken. Die deutschen Finanzminister sind keine Kämmerer mehr, sondern Disk-Jockeys.“ Nur ein Schäuble dürfe hier nicht mitziehen: „Er muss auf die Single-Auskopplungen warten.“ Der Weg nach Griechenland ist hier natürlich nicht weit und um den Rettungsschirm zu finanzieren, füttert Tretter pro Hellenen-Scherz munter ein Sparschwein.
Der Kabarettist kann natürlich dankbar sein für das Material, das ihm Gegenwart und Vergangenheit liefern. Er verwertet es wortwörtlich und produziert mit erfrischender Respektlosigkeit Qualitätspointen am laufenden Meter. Aberkannte Würden („Derzeit hat die Bundesregierung noch sechs Minister und eine Kanzlerin mit Doktortitel – Schavan noch mitgezählt…“), peinliche Ex-Bundespräsidenten-Gattinnen, „Besser-Ossi Gauck“ oder eine mit grandioser Skizze parodierte Merkel („Die radikalste Feministin – nur noch Eunuchen um sich…“) – aus diesem Füllhorn bedient sich Tretter und unterhält mit Charme und Witz auf hohem Niveau: bissig, beredt und brillant. Wer anders könnte „Schlecker-Frauen“ und „Opelanern“ raten, für 2012 den Friedensnobelpreis in den Lebenslauf zu schreiben?
Weitere Informationen und Termine gibt es im Internet unter http://www.mathiastretter.de.