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Herrlicher Undsinn [sic!]

MAINZ (24. November 2024). Um an extraterrestrisches Leben zu glauben, muss man kein Verschwörungstheoretiker sein. Und nach dem letzten Auftritt des Kabarett-Duos Ulan & Bator könnte man fast meinen, die Aliens seien bereits mitten unter uns. In diesem Fall hätten sie graue Anzüge an und verhielten sich unauffällig wie das übrige Unterhaus-Publikum: Sie sitzen auf der Bühne und warten auf den Beginn der Vorstellung.

Doch die kann erst beginnen, wenn Ulan & Bator ihr Markenzeichen aus der Tasche ziehen: die bunt-geringelten Bommelmützen. Denn kaum ist das Band am Kinn verknotet, fegt ein Orkan der Komik durch den Keller, der einen prasselnden Pointenregen mit sich führt. Das Strickwerk scheint eine Art umgedrehte Tarnkappe zu sein: Statt sich unsichtbar zu machen, verblasst das Grau der Anzüge und der knallbunte Witz des Duos koloriert den Abend mit einem Feuerwerk der guten Laune zu etwas, das man kaum beschreiben kann, sondern eigentlich erleben muss.

Die Schauspieler Sebastian Rüger und Frank Smilgies gründeten 2001 Ulan & Bator, 2011 bekamen sie dafür den Deutschen Kleinkunstpreis und seither gibt es Auszeichnungen in schöner wie verdienter Regelmäßigkeit. Ihr Handwerkszeug ist ein feiner Sinn für Humor und das Gespür für die Komik des Absurden. Ihr Kabarett ist Maßarbeit: Synchrones Sprechen selbst der groteskesten Wort- und Satzgebilde, ja sogar einer Phantasiesprache gelingt so punktgenau wie das Setzen der Pointen.

Dabei werden in den Sketchen durchaus die Themen der Zeit aufgegriffen: Nachhaltigkeit, Globalisierung und Wasserstoff, der Generationenkonflikt, die drohende Ver(bl)ödung der Gesellschaft, die abnehmenden Fähigkeit zuzuhören, Einsamkeit und Oberflächlichkeit, Menschenwürde zwischen Freiheit und Lieferando. Und auch politisch wird Haltung gezeigt, wenn sich die Gattin des Anglers über dessen Ekel erregenden Fang beschwert – kein Wunder, hat er doch am rechten Rand gefischt.

Der Titel „Undsinn“ steckt bereits mit nur zwei Silben die Bandbreite des Programms ab. Denn neben dem tiefen Sinn darf natürlich auch der grenzenlose Unsinn nicht fehlen: Da ist die kulturpolitische Diskussion zwischen einem Zahnarzt und seinem Patienten, die behandlungsbedingt als Monolog des Mediziners ausfällt, kommentiert nur vom Lallen und Gurgeln des Behandelten. Oder Ulan & Bator schreiten die Bühne ab und loten murmelnd ihre akustische Mehrdimensionalität aus. Dabei brauchen sie keinerlei Requisite oder Bühnenbild: Zwei Stühle reichen, alles andere (er)schafft die von der glutvollen Komik des Duos angefachte Phantasie des Publikums, das immer wieder von Lachanfällen geschüttelt wird.

Man erfährt viel Neues an diesem Abend: vom molekularen Antrieb auf Weizenkleie-Basis, für die jedoch Unmengen Schmand benötigt werden, warum Annette von Droste-Hülshoff den Fußballer Oliver Bierhoff in den Dichterolymp aufnehmen möchte und dass Hitler den Ostfeldzug hätte gewinnen können, wenn er dem Russen über Asien kommend in den Rücken gefallen wäre. Unglaubliches auch aus der Literaturszene, wo auf einem Lübecker Flohmarkt in einer Marzipankiste die Folgeromane von Heinrichs Manns „Untertan“ auftauchten: der „Mitteltan“ und der „Obertan“ – auf so was muss man ja erst mal kommen!

Am Schluss bleibt einzig die Frage offen, warum man Ohren sehen, aber keine Augen hören kann. Denn nach dem enkeltrickreichen Anruf bei Jeff Bezos‘ Cousin Lutz, der sich problemlos um eine Million Euro erleichtern lässt, einer griechischen Tragödie um Koriander und einem fulminanten Rockkonzert finden sich Ulan & Bator wieder im Publikum; unbemützt und mit dem Rücken zu den Zuschauern fragen sie sich: „Wann geht’s ’n los?“ Und tatsächlich wäre es gar nicht schlecht, wenn in diesem Augenblick alles noch mal von vorne begönne …

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