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Teuflisch gutes Kabarett

MAINZ (12. Oktober 2023). „Sie gestatten ein kleines Lamento“, sinniert Matthias Deutschmann in die letzten Töne seiner sonoren Cellomelodie: „Deutschland wächst nicht mehr.“ Wobei man ja lieber von Minuswachstum spreche. Deutlich Worte sind in der Politik oft markig, doch da, wo es ankommt, verstecken sich die Mächtigen lieber hinter Worthülsen. Ganz anders Deutschmann: Er spricht Klartext, wobei er diesen natürlich ebenfalls ansprechend verpackt. Bei ihm kommt er als lauter Gedanke, feinsinnige Anmerkung oder garstige Randnotizen daher.

In einer Welt, die gerade von einer Krise in die nächste stolpert, tut guter Rat Not, weswegen Deutschmann nach der Coronazeit, die ja gerade auch die Bühnenkünstler bös gerupft hatte, so das Narrativ, ein zweites Standbein suchte und es in der Beratung fand. Wobei nicht alles schlecht war. Zum Beispiel der flugbefreite blaue Himmel: „Endlich keine Chemtrails!“ „Mephisto Consulting“ heißt das zweite Standbein und auch das neue Programm, mit dem Deutschmann wieder teuflisch gutes Kabarett macht.

Der Kabarettist pirscht sich geschickt ans Thema ran, parliert erstmal locker über die Krönung von Charles III., den die Frau Mama wohl gerne überlebt hätte. Mehr noch als die Inthronisierung faszinierte Deutschmann die Grablegung der Queen, diese militärische Prägnanz, an der die Bundeswehr gescheitert wäre: „Da hätte man wahrscheinlich gar nicht gewusst, wer da im Sarg liegt.“ Apropos Unwissenheit: „Man weiß ja gar nicht, worüber man sich aktuell mehr entsetzen soll.“

Auf den aktuell implodierten Nah-Ost-Konflikt geht der Künstler erst am Schluss und nur dezent ein. Schnellschüsse sind seine Sache nicht: Jeder geäußerte Gedanke ist gereift, mag zum Widerspruch reizen, steht jedoch als Meinung seinen Mann. So warnt der Kabarettist denn auch gleich zu Beginn: „Dieses Programm könnte Mikroaggressionen enthalten.“ Aber geht man nicht gerade deshalb zu Matthias Deutschmann? Ein Abend mit ihm ist nichts für Zartbesaitete. Wie auf seinem Cello zupft er sein Publikum an empfindlichen Stellen, schlägt eindringliche Töne an, die in der Resonanz des eigenen Hippocampus hoffentlich noch lange nachklingen und den Auftakt für eigene Denkansätze geben mögen.

Genüsslich arbeitet er sich an Themen ab, denen man selbst zuweilen ratlos gegenübersteht: „Darf ich noch ‚Meine Damen und Herren‘ sagen? Was weiß ich, was Sie sind?“ Das Genderzeichen ist ihm ein Graus: Kennzeichnungen mit Stern brächten selten Heil. Auch beim Schach rät der Consultant, man solle nur noch mit weißen Feldern und Figuren spielen – dann hätte sich auch der Zugzwang und die strukturelle Gewalt des Schlagens erledigt.

Mit Blick auf die Politik schmeißt der Berater mit Fachtermini um sich und empfiehlt Resilienz sowie Inkompetenzkompensationskompetenz. In welche politische Richtung er auch blickt, macht er Fachkräftemangel aus. Lohnende Kundschaft sieht er hingegen in der Bundeswehr – als hätte die frühere Ministerin Ursula von der Leyen hier nicht schon genug Unheil gestiftet. Bei der NVA gab es dereinst ein eigenes Kabarett, erzählt Deutschmann: „Der gestiefelte Kader.“ Für die eigene Truppe fordert er ebenfalls Witz statt Waffe und hat auch schon den passenden Namen: „Lach- und Schießgesellschaft.“

Ob Reichsbürger oder Klimakleber, Regierung oder Opposition, Links oder Rechts: Deutschmann, der 1985 erstmals im Mainzer Unterhaus auftrat, ist stets bestens informiert, die Analyse des Istzustands kommt messerscharf daher und hat Tiefgang. Seine Programme sind auch immer kleine Geschichtsstunden und er wird nicht müde einzufordern aus der Historie zu lernen. Brandt wollte mehr Demokratie wagen, Schröder mehr Volkswagen. Hinter der Sottise lauert bei Deutschmann immer die kluge Schlussforderung und er ortet die Schwachstelle der Demokratie punkgenau: das Volk selbst.

Wie schade, dass es den Hofnarren als Institution nicht mehr gebe, sinniert der Künstler. Der habe schließlich die wichtige Aufgabe gehabt, den Herrscher nicht nur zu unterhalten, sondern durch seinen Witz auch aufklärend zu beraten. Vielleicht sollten die Regierenden einfach öfters ins Kabarett gehen – vorzugsweise zu Gedankenvirtuosen wie Matthias Deutschmann. Dank „Mephisto Consulting“ könnte man sich sicher den einen oder anderen Beratervertrag sparen.

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