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Inhalt statt Content

MAINZ (3. November 2023). Schlägt man im Wörterbuch das englische Wort Content nach, ist dort zu lesen: qualifizierter Inhalt und Informationsgehalt, besonders von Internetauftritten. Doch genau in diesem Detail steckt der Teufel: Oft ist Content genau das Gegenteil von Inhalt: nämlich substanzloses Füllmaterial. Und das nicht nur im Netz: Selbst einst renommierte Tageszeitungen setzen heute auf „Contentmanager“, die den Inhalt oft nur noch verwalten als ihn selbst kreativ zu erschaffen (oder erschaffen zu lassen). Das aktuelle Programm von Friedemann Weise heißt nun „Das bisschen Content“ und orientiert sich zum Glück an der wortwörtlichen Übersetzung. Dass sein „qualifizierter Inhalt“ dabei hochmusikalisch und wunderbar witzig verpackt ist, erhebt es weit über das Niveau des Üblichen.

Laut Kurt Tucholsky darf Satire bekanntlich alles. Sogar klonen! Womit nicht das platte Abkupfern von Ideen erfolgreicher Kolleginnen und Kollegen gemeint ist. Weise hat zudem eine Lücke im EU-Recht gefunden, was das humane Reproduzieren en miniature erlaubt. „Klone unter zehn Zentimeter gelten als Nager“, begründet der Künstler die Kreation seines Miniklons Friedemännchen, der die Show im kleinen Unterhaus aus einer orangen Pappschachtel verfolgt. Und kommentiert, schließlich hat er sich einen Mindreader samt Emotionsreceiver zusammengedengelt, mit dem er die Gedanken des Publikums lesen kann.

Ein kleines Theater im Theater, das grandios wirkt, die Kommunikation der beiden ist über eine Videoleinwand zu erleben. Dass man hier vorproduziertes Material sieht, gerät sofort in Vergessenheit, so köstlich sind die Dialoge. Und als Weise nach der Pause auf der Bühne einen an Friedemännchen adressierten Zettel mit der Botschaft „Ich will ein Kind von Dir“ findet, schiebt er ihn durch den „Lüftungsschlitz“ und im Moment erhält der Miniklon seinen Lettre d’amour von oben. Was für eine schöne Idee!

Auch sonst ist der Abend alles andere als einfallsarm und straft seinen Titel ansprechend Lügen. Weise singt und klampft zu aktuellen Themen, natürlich nicht ohne aktuelle satirische Seitenhiebe. Dem Wohnungsmangel begegnet er mit dem Einzug bei Ikea und schafft dank massenhafter Nachahmung wieder bezahlbaren Wohnraum in der Großstadt. Den Fachkräftemangel macht er vor allem am Auftritt der ewig gleichen Gesichter in den Talkshows fest, es geht um saisonale Küche, einen Trip in die Erlebnisgastronomie oder To-do-Listen. Gerne erkennt sich das begeisterte Publikum in den Liedern wieder und erinnert sich an Zeiten ohne Einparkhilfe oder Kinderfahrradhelme. Dabei kann Weise auch ernst und singt gegen das Schwarz-Weiß-Denken an – zu ernst wird es aber auch wieder nicht: Jetzt ist das Land schön grau.

Was ist Friedemann Weise eigentlich? Eine Art Mischung aus Woody Allen und Helge Schneider mit einem Schuss Hans Süper und Eric Clapton? Er selbst bezeichnet seine Kunst als „Satirepop“ und überzeugt als ironischer Liedermacher, der freimütig (und angeblich von Peter Maffay gecoacht) seine Ablehnung von Nachwuchs generell oder den Umgang mit hässlichen Kindern (nicht wertend gemeint) besingt. Weise beantwortet die Frage, was Bäcker in der Regel frühstücken und steht zu patriarchalischen, cis-normativen Denkstrukturen, wofür er sich prompt eine Rüge von Friedemännchen einfängt: Warum nur Bäcker?

Was macht Friedemann Weise also? Theater, Unterhaltung, Musik – schlicht alles, was solide und gut gemachte Kleinkunst braucht: Der geistvoll-witzige Barde schenkt seinem Publikum einfach einen tollen Abend – und Ablenkung, die in so turbulenten Zeiten wie den unseren doppelt wertvoll und wichtig ist. Weise gestaltet seine Wahl von Dienstleistungen, Urlaubszielen, Restaurants oder Ebay-Händlern ja nur noch anhand von Onlinebewertungen, der „Währung unserer Zeit“. Gerne sei es ihm daher hier, im digitalen Raum, mit gleicher virtuell-klingende Münze heimgezahlt: Friedemann Weise ist einfach super und im Fernsehen sowie live auf der Bühne eine Wucht.

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