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Der Heinz im Heist

MAINZ (1. Oktober 2023). „Nicht jeder, der die Bretter, die die Welt bedeuten, betritt, merkt, dass er auf dem Holzweg ist.“ Mit diesem Zitat des großen Heinz Erhardt endete an dieser Stelle im März 2019 die Besprechung einer groß angekündigten Revue mit Texten des grandiosen Komikers in der Rheingoldhalle. Nicht ohne Grund, denn auch wenn Stefan Linker Erhardt an jenem Abend gut kopierte, fiel das Konzept durch. Ganz anders jetzt der Auftritt von Hans-Joachim Heist im Unterhaus: Einem größeren Publikum sicher durch seine Rolle als Gernot Hassknecht in der „heute-show“ bekannt, gibt der Komiker und Regisseur Heist auch gerne den von ihm spürbar tief verehrten Heinz Erhardt. Und das nahezu perfekt.

Die Bühne betritt Heist noch persönlich, sagt ein paar Worte zu Erhardt, den man heute wohl als Comedystar betiteln würde. Doch die aktuellen Kollegen, da ist sich Heist sicher, werden niemals jenen Kultstatus erlangen, den der 1909 in Riga geborene Erhardt genießt. Bereits da applaudiert das Publikum im restlos ausverkauften Unterhaus von Herzen. Auch die Rheingoldhalle war seinerzeit bis auf den letzten Platz besetzt, was beweist, wie beliebt und lebendig die Verse und Wortspiele des großen Komikers noch immer sind.

Und dann wird das Publikum Zeuge einer Verwandlung, die fast schon etwas Unheimliches hat: Heist dreht sich einmal um die eigene Achse, setzt, als er dem Publikum kurz den Rücken zudreht, die markante schwarze Hornbrille auf. Und in der Drehung verwandelt sich der Mime förmlich in Heinz Erhardt: Gestik und Mimik sind perfekt und die Aura erreicht die Zuschauer selbst in den letzten Reihen unmittelbar. Wie Heist mit den Armen rudert, die Hände knetet, wenn Erhardt ein „Versprecher“ auffällt und er um die „richtigen Worten“ ringt, wie er mit großen Schritten über die Bühne schreitet – man blickt wie durch eine Virtual-Reality-Brille, und zusätzlich zur Dreidimensionalität reist man dabei noch durch die Ebene der Zeit.

Hans-Joachim Heist ist an diesem Abend Heinz Erhardt, trägt immer „noch ‘n Gedicht“ vor: König Erl, Die Made, Der Chor der Müllabfuhr, Der Schauspieler, Das Gewitter, Der Berg. Die Tiergedichte, die launigen Anmoderationen – der echte Fan könnte natürlich wortwörtlich soufflieren. Wer reimte schon verbirgt auf abgewürgt, Pfingsten auf geringsten oder Regenwurm auf Wirbelsturm? Der große Meister des Humors, der das Lustige mit deutschem Bierernst vortrug und die Komik dabei nur noch potenzierte, um sich dann über den eigenen Witz umso kindlicher zu freuen: Heist schlüpft in die Rolle und die passt – wie Erhardt trägt er natürlich Schlips und Jackett – wie angegossen. Ritter Fips, die albernen Sinnsprüche – alles ist so unglaublich geistreich und scheinbar naiv. Das machte Erhardt so beliebt – sicherlich auch ein befreiendes Merkmal jener von übergroßer Schuld geprägten Nachkriegszeit.

Nach der Pause kommt Hans-Joachim Heist mit dem Publikum ins Plaudern und man merkt, wie sehr es ihn freut, dass der aus Halle/Saale am weitesten angereiste Zuschauer der zehnjährige Johannes ist, der seine Mutter zum Besuch der Show drängte und ein großer Erhardt-Fan ist. Schon als Kind, bekennt Heist, habe er zur Belustigung seines Umfelds Vierzeiler des großen Vorbilds auswendig aufsagen können: „Mit Heinz Erhardt kannst Du auch in 20 Jahren noch punkten“, verspricht der Schauspieler – ein warmer Moment zwischen „Goetheglatzen“, „Sturmsäcken“ und der Erkenntnis, warum die Zitronen sauer schmecken.

Zwei Dinge konterkarieren den perfekten Eindruck ein wenig. Zum einen ist es die Musik, die Heinz Erhardt ja sämtlich selbst komponiert und getextet hat und die daher stets ein wichtiger Bestandteil seiner Auftritte war. Heist singt und imitiert auch hier sein Idol überzeugend, doch die Begleitung kommt als Synthesizer-Mix vom Band: Künstlichkeit ersetzt die Kunst. Dass sich Heist bei seiner Show keine mehrköpfige Jazz-Combo leisten kann, ist natürlich klar. Hätte er die Untermalung jedoch von realen Musikern stilecht aufnehmen lassen, wäre noch mehr Authentizität garantiert.

Das zweite Manko ist die Platzierung bestimmter Wortverdrehungen und -spiele, die Heinz Erhardt natürlich ganz gezielt setzte, ihnen durch eine vorgetäuschte Spontanität jedoch den unvergleichlichen Witz schenkte. Das macht auch Heist, doch er wiederholt sich: Wenn er zum ersten Mal „stinkelingpief“ statt instinktiv sagt, dann ist das wie bei Erhardt erstmal urkomisch; wenn das Wort vor dem gleichen Publikum aber noch mal fällt – leider nur ein Beispiel von gleich mehreren –, verliert der Witz seinen Elan, was dann auch gleich doppelt schade ist.

Aber egal: Heist kann Erhardt und dieser Abend mit ihm (ja mit beiden!) zeigt durchaus emotional, wie wertvoll die große Kunst des 1979 gestorbenen Grand Seigneurs des Wortwitzes war und ist. Einfach wunderbar, dass es Menschen gibt, die daran mit öffentlichen Auftritten erinnern und dass das Publikumsinteresse offenbar nicht erlischt. Zum Glück gibt es Künstler wie Hans-Joachim Heist, die so tief in die Rolle des verehrten Künstlers hineinschlüpfen – dass sie seine Texte eben ganz stinkelingpief rezitieren können.

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