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Panaudium der klugen Pointen

MAINZ (15. Oktober 2023). Eine Krise als Chance zu verstehen – im Chinesischen ist dies angeblich sogar ein Begriff mit derselben Bedeutung –, fordert vom Gebeutelten schon ein gerüttelt Maß an Optimismus und Selbstvertrauen. Der Musikkabarettist Michael Krebs hat da eher eine pessimistische Grundstimmung. Auf die Bühne geht er eigentlich nur noch, um Applaus zu bekommen: „Dumm nur, dass ich dafür auch was abliefern muss.“

Als muss Krebs doch ran. Das Programm heiße „Krise als Chance“, weil er als Kabarettist immer eine Vorlaufzeit von anderthalb bis zwei Jahre habe und ihm die Agentur im Nacken saß: Die Veranstalter wollten die Programme drucken, was solle man denen sagen? Krebs bekam die Krise, der Agent riet, dies als Chance zu sehen. Zack hatte das Kind einen Namen. Und das hat es in sich. Der studierte Jazzpianist feiert im kommenden Jahr sein 20. Bühnenjubiläum: unfassbar also, dass man ihn an diesem Abend das erste Mal sieht.

Sofort nimmt der sympathische Schwabe einen für sich ein. Kluge Kommentare zu intelligenten Intervallen, so könnte man sein Bühnentreiben zusammenfassen: Krebs singt und spielt mit einer Publikumszugewandtheit, für die er das Auditorium gar nicht anschauen muss. Und das ist rasch aus dem Häuschen. Schon das erste Lied „Kalsarikännit“ – finnisch für, wenn man sich alleine zuhause nur in Unterwäsche betrinkt – ist herrlich und vereint neben dem Fremdwort die Begriffe Krematorium, Krämerbrücke und Klavierstimmerin. Mit seinem schwarzen Humor und den musikalischen Zitaten erinnert das durchaus an Georg Kreisler.

Dabei leidet Krebs doch an einer Moll-Dur-Schwäche! Erst in der Musiktherapie lernte er zu unterscheiden – anhand des Star-Wars-Soundtracks von John Williams: Wenn das Gute auftritt, hört man Dur, beim Bösen Moll. Zur Untermauerung spielt er die bekannten Filmmelodien im jeweils anderen Tongeschlecht – eigentlich eine einfache Idee, aber köstlich ausgebaut. Menschen mit Dur-Moll-Schwäche haben übrigens auch den Blues erfunden: „Und als noch ADHS dazukam, wurde der Jazz geboren.“ In die gleiche Kerbe schlägt sein Motivationssong, in dem er sich in allen Popsongs, die sich auf ein Gegenüber beziehen, nur selbst spiegelt: ein Narzisst mit Goldmund sozusagen, denn Krebs ist nicht nur ein brillanter Pianist, sondern auch ein verdammt guter Sänger.

Er hat an der Hamburger Musikhochschule studiert und die liebevoll-lustigen Erinnerungen an einen kauzigen Dozenten sorgen für anrührende Momente im Programm. Bissiges Kabarett ist für Krebs eher schwierig: „Die Politiker liefern keine Vorlagen mehr, sondern bereits die Pointen, die man nicht mehr toppen kann.“ 20 Prozent wolle die Regierung bei der Finanzierung der politischen Bildung streichen: „Und gleichzeitig wählen genauso viele AfD. Ob es da einen Zusammenhang gibt?“ Im anschließenden Trostlied heißt es folgerichtig „Alles wird schlimmer“.

Die Nummern und Einfälle dieses Künstlers machen einen Riesenspaß: Sein Loblied auf die Bahn kommt ungeplant zum Halten, der Refrain verspätet sich und ein Ersatzsong wird bereitgestellt – so geht intelligentes DB-Bashing. Also steigt man um in ein Liebeslied auf „Entliebte“ mit ewig langem Nachspiel. Und gerade als man sich das Wort „redundant“ notiert, schlägt die Pointe zu: Manchmal sei es eben schwer, ein gutes Ende zu finden, sinniert er über die Schnittmenge zwischen Beziehung und Klavierspiel. Krebs kann seine scheidende Frisur thematisieren („Ich möchte mir noch keine Glatze rasieren, denn damit bestrafe ich ja die Haare, die noch zu mir halten.“) oder ein Musical zum Thema Fußbodenschleifmaschinenverleih komponieren – alles hat Klasse.

Von überallher prasseln Informationen auf das Individuum ein, was Krebs mit einem ratternden Vortrag einer Instagram-Timeline knackig dokumentiert. Da wird der Ruf nach Entspannung laut, die er im zweiten Teil des Programms kredenzt: Hier entwirft er ein Panaudium der klugen Pointen, in dem er (autogen trainiert) zwischen der Suche nach Glück und der rationalen Erkenntnis pendelt, dass es für die Erde wohl das Beste wäre, wenn der Mensch das einzig sinnvoll Nachhaltige mache und einfach ausstürbe. Doch selbst mit solcher Morbidität kriegt Krebs die Stimmung nicht klein, denn das bestens unterhaltene Publikum feiert ihn, will ihn am Schluss gar nicht mehr von der Bühne lassen. Recht so.

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