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Die Kanzlerin im Fadenkreuz

MAINZ – Kann Angela Merkel denn gar nichts richtig machen? „Tilt 2008“, der traditionelle Jahresrückblick erweckt diesen Eindruck, so wie sich Urban Priol in diesem Jahr auf die „kleine ulkige Frau im Hosenanzug“, wahlweise auch die „machtverliebte Plattitüden-Mamsell“ eingeschossen hat.

Doch unverkennbar macht sich der Kabarettist mit diesem Trommelfeuer Luft, denn die anderen sind ja auch nicht besser: Huber, Beckstein, Köhler, Pofalla, Kauder, Westerwelle und Glos – sie alle parodiert Priol in kurzen Sequenzen treffend und wagt auch mit Strauß, Blüm, Schröder & Co. so manchen Ausfallschritt in die politische Ahnengalerie: „Kohl hat ja in diesem Jahr wieder geheiratet – wenn ich so eine nähme, wäre die elf!“

Intensiver als früher springt er zwischen den Themen, greift vor und kommt zurück, wodurch sein Programm noch mehr an Dynamik gewinnt. Denn mit Blick auf Hessen kommt er sich vor wie eine Schallplatte mit Hänger: Ende 2007 Wahlkampf und Ende 2008 auch. Schließlich lebt der Aschaffenburger an der „Schnittstelle des Politirrsinns“: „Bayern hat einen Ministerpräsidenten, den keiner gewählt hat und Hessen hat einen, den keiner gewollt hat.“

In der Tat ist das Füllhorn an aktuellen und immer wieder neuen Themen, die ihm Politik, Wirtschaft und Gesellschaft derzeit in die Feder spülen, übervoll: „Wahrscheinlich kann ich allein über die nächste Woche drei Tage lang Kabarett machen.“ Und so wuselt sich der Mainfranke in seinem Jahresrückblick 2008 durch Wahldesaster und Bankenkrise, unter wirtschaftlichen Schildern und Schirmen hindurch bis in die Berliner Schaltzentralen der Macht.

Ziele findet und trifft Priol überall, egal, ob Kurt Beck – „erst Not-, dann Sargnagel der SPD“ – oder Banker, bei denen er vergeblich nach einem Rest von Fachwissen hinter der halbwegs gebundenen Krawatte sucht: „Vor Anlageberatern habe ich mittlerweile mehr Angst als vor Al Kaida“. Die wirtschaftliche Lage wird knallhart analysiert: „Wir haben Kinderarmut, es droht die Altersarmut – und der Mitte geht das Geld aus.“

Doch Urban Priol versteht seine Rolle als Hofnarr nicht nur darin, „denen da oben“ die Leviten zu lesen: Mit scharf überzeichneten Einwürfen von „denen da unten“ schaut er auch dem Volk achtsam aufs Maul.

Ganz klar: „Deutschland blickt so pessimistisch in die Zukunft wie schon seit Jahren nicht mehr – also wie vor der Wiedervereinigung, unserem Nine-Eleven“, malt Urban Priol die Gegenwart bewusst düster, um zum Schluss zu empfehlen: „Wenn die Euch ärgern, dann ärgert sie zurück.“ Und da der Spott schon immer eine geeignete Waffe für „uns da unten“ war, zeigt man der bundesdeutschen Tristesse am besten ein lachendes Gesicht.

Urban Priol zumindest schafft es jedes Jahr aufs neue, den zuvor mit Salz bestreuten Finger in die offenen Wunden der Zeit zu legen und genüsslich darin herumzuwühlen. Angesichts eines solchen Abends wünscht man sich von der Zukunft eigentlich gar keine Besserung – Hauptsache, man kann sich im Dezember 2009 noch die Kabarettkarte leisten…

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