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Gegensätze, die sich anziehen

MAINZ (13. September 2013). Egal ob an der Mär, Eskimos würden ihre Alten irgendwann auf eine Eisscholle setzen und aufs offene Meer treiben lassen, etwas dran ist: In Deutschland gibt es den Generationenvertrag, geschlossen in Zeiten, in denen die Alterspyramide noch nicht Kopf stand. Ins Reich der Mythen gehört allerdings, dass die Renten „sischer“ sind. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich das Kabarett des Themas annimmt.

Angeschnitten wurde es in der Vergangenheit öfters, aber ein abendfüllendes Programm – zumal noch mit einem derart klugen Duo, das ist neu. Für ihr Programm „Gegensätze“ formieren sich Kai Magnus Sting und Henning Venske zur Familie auf Zeit, schließen als Enkel und Opa also ihren ganz eigenen Generationenvertrag.

Es geht um Standpunkte an diesem Abend – aber noch mehr geht es um einen Sitzplatz, genauer gesagt: einen Sessel – für Opa Henning das letzte Mobiliar bevor der Tischler die Bohlen sägt, für Enkel Kai Magnus das noch fehlende Interieur der Studentenbude. Schnell ist der ohnehin fragil gewordene Vertrag gebrochen und die Gefechtslinien werden abgesteckt. Allerdings anders, als man denkt, denn Opa ist der Revoluzzer, der „Hells bells“ rezitiert und der Enkel gibt den gesetzten Konservativen samt Schillers „Glocke“.

Derart rollenvertauscht sezieren sie die Gesellschaft, die daran gemessen werden sollte, wie sie mit ihren Alten umgeht. Ist es da ein Wunder, wenn der Zynismus der gemeinsame Nenner ist? Venske ist es unheimlich, dass sich Alte in Wartezimmern zusammenrotten, während Sting das Problem marktwirtschaftlich sieht: „Kinder zahlen für die Geisterbahn Eintritt.“ Im ersten Teil besucht der Enkel Opa im Altersheim, im zweiten dieser den Spross im Studentenwohnheim: „Wie soll man mit Euch die Zukunft gestalten?“, fragt er und bekommt prompt die Retourkutsche: „Ihr habt doch die Vergangenheit vermasselt.“

Dass dieses Kammer-Ping-Pong-Spiel so brillant funktioniert, liegt natürlich auch an den „Familienmitgliedern“: Hier Henning Venske, der mit staubtrockener Altersweisheit kommentiert und dort Kai Magnus Sting, dessen locker-flockiger Duktus dem Abend einen ganz eigenen Drive gibt. Ganz nebenbei ersetzt er dabei in Mimik und penibler Diktion sein offensichtliches Vorbild und Venskes früheren Partner Jochen Busse – das allerdings in ebenso unterhaltsamer Perfektion.

Letztendlich verhalten die beiden sich wie gleichgepolte Magneten, die sich anziehen und kurz vor dem Aufeinandertreffen doch wieder abstoßen. Und en passant klappt ein kleiner Spiegel auf, in dem das Publikum die eigene Chronik sehen und bedenken kann. Der moralische Zeigefinger wird indes nicht erhoben. Und auch, wer letztendlich den Sessel bekommt, bleibt als Sinnbild trefflich offen…

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