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Aus der Not eine Tugend gemacht

MAINZ (6. März 2022). Der Kabarettist Tobias Mann nannte seinen Kollegen Dieter Hallervorden in dieser Zeitung 2015 das „Schweizer Taschenmesser des Humors“. Nun durfte sich der Mainzer Künstler selbst als ein solches Allzweckwerkzeug erweisen und sprang bei der Verleihung des 50. Deutschen Kleinkunstpreises für den wenige Stunden zuvor positiv auf Corona getesteten Urban Priol ein. Damit erlebte das Publikum im Frankfurter Hof – laut Mann „die Robert de Niros der Zuschauerdarsteller“ – eine etwas improvisierte und zumindest in der öffentlichen Generalprobe sympathisch „pannenbeladene“ Aufzeichnung – zu sehen am 13. März um 20.15 Uhr auf 3sat (und ab dann für ein Jahr in der Mediathek).

Bereits zwei Tage zuvor hatten Jan Böhmermann im „ZDF Magazin Royale“ sowie das Team der „heute show“ den Mut bewiesen, sich selbst in humoristisch eher schwierigen Zeiten nicht den Mund verbieten zu lassen. Und vielleicht wird der eine oder andere Zuschauer ja mit einem komischen Gefühl zu dieser Vorstellung erschienen sein. Auch Tobias Mann gab das gerne zu, stellte jedoch angesichts von „Terroristen und durchgeknallten Staatschefs oder deren Schnittmengen“ klar: „Wir sollten uns von den Arschlöchern dieser Welt nicht vorschreiben lassen, wann wir zu lachen und zu weinen haben.“ Tosender Applaus in Mainz.

Tatsächlich spielte Putins Angriffskrieg auf die Ukraine an diesem Abend kaum eine Rolle, was wahrscheinlich daran lag, dass die Ausstrahlung noch bevorsteht und das Gesagte von der Aktualität brutal überholt werden könnte. Nur Josef Hader, der den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett erhielt, traute sich die Vorzüge eines Krieges zu preisen, der die Menschheit zurück in die Steinzeit bombt: „Damals gab es saubere Luft, keine hohen Mieten, im Winter kollektives Intervallfasten und keine Achselrasur.“ Ob er beim Schreiben seines borstigen Programms „Hader on ice“ glaubte, dass die Realität so flinke Füße hat? Nicht umsonst begründete die Kleinkunstpreis-Jury die Wahl Haders mit seiner beeindruckenden Fähigkeit, „erbarmenswert zynisch und von zügelloser Hybris beseelt“ zu agieren.

Befreiter lachen durfte man bei den weiteren Ausgezeichneten: Till Reiners, der am 20. März vom zu Pro7 abgewanderten Sebastian Pufpaff die 3sat-Sendung „Happy Hour“ übernimmt, sinnierte als Preisträger in der Kategorie Stand-up-Comedy über das AGB-Lesen und plädierte für ein Verbot von Langeweile. Das war an diesem Abend indes ohnehin obsolet, wofür auch Katie Freudenschuss (Kategorie Musik) mit ihrem köstlichen Kultururradio-Beitrag zu Fangesängen in deutschen Stadien sorgte.

Tino Bomelino (Förderpreis der Stadt Mainz) gefiel mit loop-verliebten Sentenzen und bewusst losen Sketchen: „Das sieht dann so aus, als hätte der Sender schlecht geschnitten.“ Vielleicht gelang es ihm am besten, Neugier auf einen kompletten Abend zu wecken. Wo sonst hört man große Hits wie „Bohemian Rhapsody“ von Queen oder Phil Collins‘ „In the Air tonight“ überzeugend komprimiert auf wenige Sekunden? Carmela de Feo (Kategorie Kleinkunst) widmete im schwarzen Gewand ihrer Bühnenfigur „La Signora“ den Preis zwei Tage vor dem Weltfrauentag allen Müttern, „dem Fußvolk mit den geschwollenen Beinen“.

Thomas Freitag bekam den Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz zum Deutschen Kleinkunstpreis: An einer postparodistischen Belastungsstörung „leidend“ holte er überzeugend noch einmal die politischen Altvorderen um Kohl, Blüm, Strauß und Brandt aus der Mottenkiste und zeigte den Wahnsinn eines analog erlebten Facebook-Accounts. Freitag dankte all jenen, die in früheren Tagen dafür sorgten, „dass sich der Schauspieler und der politische Kabarettist nie im Weg standen“: unter anderem seinem 2021 verstorbenen, langjährigen Regisseur Horst-Gottfried „Rufus“ Wagner und dem großartigen Kabarettautor Dietmar Jacobs.

Noch ein Wort zu Tobias Mann: Ein Moderatorenwechsel tat der Sendung schon öfters gut, selbst wenn so honorige Kabarettisten wie Dieter Nuhr oder Urban Priol durch die Sendung führten. Mann hat in diesem Jahr, wenn auch „erzwungenermaßen“, einen wohltuend frischen Wind ins Format gebracht, den die Senderverantwortlichen tunlichst nutzen sollten. Nachdem das ZDF 2020 die Kabarett-Show „Mann, Sieber!“ eingestellt hatte, bekam Christoph Sieber die „Mitternachtsspitzen“ im WDR. Es wäre sicherlich nicht der schlechteste Schachzug, die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises künftig komplett Tobias Mann zu übertragen.

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