» Kleinkunst

Welthits auf Hessisch

MAINZ (25. Februar 2024). Die Idee ist einfach: Man nehme einen Hit, übersetze den Text ins Deutsche und diese Verse nun wieder in (s)einen Dialekt – man muss halt nur auf sowas kommen, den Mut haben, diesen Einfall umzusetzen und dann natürlich auch noch die nötige Musikalität haben, das ganze überzeugend interpretieren zu können. All das trifft auf das Duo Tilman Birr und Elis C. Bihn zweifelsohne zu. Ihr Name ist Programm: „Welthits auf Hessisch.“ Und das fetzt.

Es ist gut, dass Birr und Bihn des Hessischen so mächtig sind und die Liedtexte mit Gitarre und Bass in der Mundart singen: Manche Verse klingen ins Deutsche transferiert nämlich seltsam hohl und inhaltsleer, wirken wie einfache Gedanken, selbst wenn sie im Original von den Simple Minds gesungen werden. Aber im Dialekt bekommt das Ganze plötzlich eine brachial komische Ebene, die trägt. Und Birr und Bihn fühlen sich sichtlich wohl in ihrer Muttersprache.

Als ihnen einfiel, Welthits auf Hessisch zu singen, werden sie einige Gerippte Äppelwoi intus gehabt haben. Er kommt verdächtig häufig in den Liedern vor: wie Handkäs, Dippchen und Deckelchen, Buben und Mädchen sowie ganz viel „sch“. Dabei halten sich die Künstler recht genau an die englischen Textvorlagen von Elvis Presleys „Blue Suede Shoes“ oder Stings „Englishman In New York“, die hier jedoch zur braunen Kunstlederjack‘ und zum Hessenbub in Berlin werden. Man hört Bob Marleys „Isch hab‘ de‘ Wachtmeister erschosse‘, aber net den Typ vom Ordnungsamt“, Britney Spears „Schlaach misch, Mädsche, nochema“ oder das übersetzte „I’m Too Sexy“ von Right Said Fred. Das Reservoire der Songs ist so riesig wie das Vergnügen, sie einmal so zu hören.

Jeder kennt diese Mundart – spätestens seit Heinz Schenks „Zum Blauen Bock“. Der gebürtige Mainzer – Schenk, nicht der Bock – verstarb vor bald zehn Jahren im Alter von fast 90. Endgültig salonfähig machten das Hessisch dann Gerd Knebel und Henni Nachtsheim in den 1990er-Jahren als Duo „Badesalz“. Der weiche, leicht vernuschelte Dialekt bietet sich für eine veritable Sprachparodie aber auch an – vielleicht als einziger regionaler Zungenschlag: Auf Bayrisch wären die Welthits lange nicht so komisch und Sächsisch oder Schwäbisch muss auch nicht sein. Höchstens noch Kölsch, doch dann klänge jeder Song ja nach BAP.

Einmal gefragt nach den Besonderheiten ihres Zungenschlags schwärmte man bei Badesalz: „Was wir am hessischen Dialekt mögen ist dieses etwas Schlampige in der Aussprache. Und dass uns das Verschlucken der meisten Endungen ermöglicht, rasend schnell zu sprechen: Als Hesse kann man in einer Viertelstunde Dinge sagen, wofür Bürger anderer Bundesländer fünf Stunden brauchen. Außerdem klingen viele Wörter und Begriffe auf Hessisch sehr viel weniger bedrohlich als in anderen Dialekten oder im Hochdeutschen: Verbreschersche, Messerstescher oder Bömbscher.“ Das Hessische hat auch schon die Barockmusik infiziert: Seit Jahren ist das Volkstheater „Barock am Main“ um Michael Quast mit Dialekt-Versionen von Molière-Klassikern erfolgreich.

Bei Birr und Bihn kommt ein weiterer Vorzug des Dialekts besonders gut zur Geltung: „Hessisch ist wahnsinnig rhythmisch, was vor allem Musikern sehr gelegen kommt“, erklärte Nachtsheim: „Mit Wörtern wie gebbe, habbe, redde oder gugge kann man eine dermaßen tolle Rhythmik ins Gespräch bringen, dass es gut passieren kann, dass das Gegenüber plötzlich anfängt, dazu zu tanzen.“ Das war in der Enge des ausverkauften Unterhauses zwar schwer möglich, doch die Stimmung war bestens.

Was auch an der optischen Diskrepanz zum musikalisch-sprachlichen Vortrag liegt. Natürlich haben auch die beiden Künstler einen Riesenspaß auf der Bühne. Aber sie verbergen ihn gekonnt und tragen sowohl ihre Songs als auch die erklärenden Moderationen mit einem köstlichen Binding-Bierernst vor. Durch diesen Kniff bekommen selbst die hahnebü(s)chensten Geschichten den Hauch der Tatsächlichkeit. In der Kleinkunstszene kennt man das Prinzip bereits von der „Familie Popolski“, die angeblich aus Opa Pjotrs Œuvre geklaute Hits mit neuen Arrangements in ihre Urform zurückführen und dazu kreative Narrative über die Genese des jeweiligen Songs erzählen.

Die „Welthits auf Hessisch“ mögen vielleicht nur in der Region so richtig zünden – hier aber haben sie das Intime des eigenen Zungenschlags. Der Dichter Christian Morgenstern sagte einmal, dass die gesprochene Sprache beim Dialekt erst anfange. Und da das Hessische ohnehin wie ein Singsang klingt, lässt man sich gerne mal zu Enyas „Orinoco Flow“ treiben und lauscht dem Wortfluss von „Lass misch seschele“, möchte gegen den „Männerresche“ der „Wettermädsche“ Rihannas „Reschescherm“ aufspannen, erlebt Gloria Gaynors „Isch werd’s überlebe“ mal im Dreivierteltakt oder hört Abbas Welthit „Schotter, Schotter, Schotter“. Einfach herrlisch!

zurück