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Wut und Mut in Waage

MAINZ (20. April 2024). Aufhören? Für den Kabarettisten Wilfried Schmickler scheint das ein Fremdwort zu sein. Zwar schieden er und Jürgen Becker 2020 aus den legendären „Mitternachtsspitzen“ im WDR aus, aber schweigen kann und will er nicht. In einem Interview mit dem Kölner Express bekannte der heute 60-Jährige einmal: „Solange ich auf zwei Beinen gehen kann und meine Stimme mitmacht, will ich meinen Job machen. Einfach nur als Beobachter irgendwo auf der Bank sitzen, ist nicht meins.“ Und so heißt sein aktuelles Programm auch folgerichtig „Es hört nicht auf“.

Der Kabarettist ist etwas leiser geworden, aber er verschafft sich noch immer Gehör. Mit den Jahren steht ihm die dynamische Dezenz sogar besser. Sein lautes „Aufhören, Becker!“, ist zwar Geschichte, aber Schmickler hält nicht den Mund. Manch große Kollegen haben sich irgendwann aufs Altenteil zurückgezogen, vielleicht auch resigniert, weil (ihr) Kabarett doch weniger ausrichten kann als erhofft. Dass dieser Mann den gleichen Schritt macht, ist zum Glück nicht zu befürchten.

Im restlos ausverkauften Unterhaus erlebte man einen trotz Knieleidens gut aufgelegten Künstler, der sein Publikum mit einer gelungenen Cuvée aus Wut und Mut in Wort und Gesang kurzweilig unterhält. Gerade in Zeiten von Rezession, Depression und Krisenmodus steckt ein solch kreativer Kopf diesen nicht in den Sand. Das Programm hat keinen stringenten roten Faden, sondern gefällt als spannende Revue von Randnotizen und Anmerkungen zu wichtigen Themen.

In Coronazeiten trug Schmickler während des ersten Lockdowns Helm, damit ihm zuhause nicht die Decke auf den Kopf fiel, machte sogar Spaziergänge und puzzelte Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ in 2000 Teilen. Wie schwer diese Zeit für einen Menschen mit solch starkem politischen Sendungsbewusstsein (und -bedürfnis) war, kann man sich kaum ausmalen. Nachdem die Politik die Pandemie für beendet erklärt hat, vermisst er allerdings die spazierenden Coronaleugner, die als Querdenker nun folgerichtig „Das Virus lebt!“ schreien müssten. Hier zitiert er passend die Fußballlegende Rudi Assauer: „Wenn der Schnee schmilzt, siehst Du, wo die Scheiße liegt.“

Schmickler streut immer wieder Bonmots geschätzter Kollegen wie Erwin Grosche ein oder erinnert in seinen Poemen an Hanns Dieter Hüsch. Das Gedicht von Gier, Neid und Hass mag schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben, ist aber aktueller denn je. In seinen Liedern auf eigene Texte singt er larmoyant von der SPD („Allein im Ortsverein“), vom Klimadurcheinander mit Schneekanone und Sonnenbank und ein „Requiem auf einen toten Baum“ oder erinnert in „Zeit der Irren und Idioten“ an die rauschhaften Verse des jungen Konstantin Wecker.

Die Appelle sind deutlich und durchaus moralisch, aber nicht moralinsauer, denn Schmickler weiß um die Herausforderung, immer auf dem richtigen Kurs zu bleiben. So ist die Tirade gegen die SUV-Fahrer sicher nicht ganz ernst zu nehmen, parkt des Künstlers schwarzes Sport Utility Vehicle doch direkt vor der Unterhaus-Tür. Den, versichert Schmickler sogleich, fahre er aber nur, wenn er nicht zu Fuß gehe. Egal, die Sezierung der AfD als Gesellschaftsspalter, der die Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung für seine niederen Ziele instrumentalisiert, ist treffsicher: „Sie können diese Partei ruhig wählen“, beruhigt er sein Publikum: „Aber sagen Sie nachher nicht, sie hätten nichts gewusst.“ Der Szenenapplaus kommt von Herzen.

Wünschte man sich im ersten Teil vielleicht noch ein wenig mehr Kontur, liefert Schmickler im zweiten nach. Hier setzt es Schlag auf Schlag und klug analysiert er die Zustände in einer Gesellschaft, in der man angeblich manches nicht mehr laut sagen dürfe: „Noch nie standen die Tore des Unsagbaren so offen wie heute“, zeigt er mahnend in die virtuelle Welt, wo Hass und Hetze unkaschiert zu Tage treten. Nicht nur sein Schlusswort geht unter die Haut, weswegen es hier im Wortlaut wiedergegeben sei:

„Sie mögen mich für einen weltfremden Träumer halten, aber ich glaube trotz alledem an eine Zukunft, die bestimmt wird von Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität. Vernunft, Respekt und friedliches Miteinander statt Willkür, Hass und Terror. Nicht destruktiv und verbittert, sondern konstruktiv und zuversichtlich. In diesem Sinne: Bleiben Sie edel. Bleiben Sie hilfreich. Bleiben Sie gut. Und denken Sie immer daran: Auch der Hass auf die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.“ Damit endet das Programm „Es hört eben nicht auf“. Wilfried Schmickler tut das zum Glück auch nicht. Dafür und für seine Aufmerksamkeit sei ihm ebenfalls gedankt.

Hier kann man Wilfried Schmicklers Gedicht von der Gier sehen und hören: https://www.youtube.com/watch?v=Ny3QGAu8ll8/

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