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Zeitreise mit Plakaten des Kabaretts

MAINZ (5.März 2023). Von Plakaten müssten die Mainzer nach dem OB-Wahlkampf die Nase eigentlich voll haben. Aber in der neuen Ausstellung des Deutschen Kabarettarchivs geht es ja auch nicht um Aushänge mit Politikerköpfen: Die Schau zeigt 47 Plakate von Kabarettveranstaltungen – und damit nur rund 0,25 Prozent des Bestands im Proviantmagazin, wo laut Archivleiterin Martina Keiffenheim rund 20.000 verschiedene Bögen verwahrt werden. Weitaus schwerer als die Ausstellung zu installieren dürfte daher die Auswahl dafür gewesen sein.

Bis zum 26. Januar 2024 kann sich der Besucher des Deutschen Kabarettarchivs nun auf eine Zeitreise durch fast 130 Jahre Brettlgeschichte begeben. Wobei er nicht nur diverse Bühnenkünstler wiedersieht oder kennenlernt: Es ist auch eine Rückschau auf die Historie unseres Landes, auf Kleinkunst in der Weimarer Republik, in Kriegszeiten, im geteilten und wiedervereinigten Deutschland.

Der Titel der Ausstellung lautet „Immer am Verstand lang“ und ist einem Plakat der Berliner „Stachelschweine“ von 1960 entnommen. Für die Ausstellung selbst wirbt das Kabarettarchiv mit dem kunstvoll-kantigen Konterfei der Sängerin und Schauspielerin Senta Söneland, die 1912 im Berliner „Bier Cabaret“ auftrat: Die berühmte Farblithographie auf dem Plakat von Josef Steiner tauchte auch 1984 auf dem Plattencover von „Victims of Circumstance“ der Band Barclay James Harvest auf. Sowohl das Plakat der „Stachelschweine“ als auch das Sönelands sind natürlich in der aktuellen Ausstellung im Original zu sehen.

Den Besucher empfängt eine bunte Collage aus aktuelleren Kabarettplakaten, mit denen auch das vis-a-vis gelegene Unterhaus für seine Künstler wirbt. Auf den präsentierten Aushängen konnten sich zudem anwesende Künstler entdecken: der Mainzer Musikkabarettist Matthias Ningel oder Erwin Grosche aus Paderborn. Von 1994 stammt ein Plakat des Duos „Faltsch Wagoni“ und auch dessen Protagonisten Silvana und Thomas Prosperi waren zur Vernissage gekommen und gaben im Anschluss an die Begrüßung durch Andrea Bähner als Vorsitzende der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv und Martina Keiffenheim Kostproben ihres Könnens.

Die Ausstellung „Immer am Verstand lang“ präsentiert also papierene Wegweiser, von denen sieben auch digital animiert sind. Auf allen gibt es viel zu sehen und zu entdecken. Mal farbenfroh und bewusst überladen, mal minimalistisch und textorientiert begegnet man großen Namen der Kleinkunst wie Hanns Dieter Hüsch, Werner Finck oder den drei Karls Farkas, Valentin und Napp (wobei der mit C geschrieben wird). Stets spiegeln die Plakate dabei den Zeitgeist, das damalige Kunstverständnis oder eben auch die Rebellion dagegen.

Man erfährt, dass es in der DDR mit den „Knallkapseln“ ein „politisch-satirisches Kabarett der Politischen Verwaltung der Deutschen Reichsbahn“ und 1959 im Westen mit den „Zeitberichtern“ auch rechtsextremes politisches Kabarett gab. An anderer Stelle wird daran erinnert, dass München 1946 das Lachen erst wieder lernen musste – so hieß ein Programm, das damals im „Bunten Würfel“ zu sehen war. Auch der „Soldatensender Belgrad“ warb für ein Gastspiel des „Kabaretts der Komiker“ – 1943 im okkupierten „Deutschen Schutzgebiet“. Geschichte, Kultur, Kulturgeschichte: All das vereint die aktuelle Ausstellung des Kabarettarchivs mit einer buchstäblich plakativen Revue, die auch in einem 126 Seiten starken Katalog anschaulich dokumentiert ist.

Die Ausstellung „Immer am Verstand lang“ des Deutschen Kabarettarchivs im Proviantmagazin ist montags bis donnerstags von 9 bis 17 Uhr sowie freitags von 9 bis 14 Uhr geöffnet. Zudem kann man sie an jedem zweiten Sonntag im Monat von 11 bis 17 Uhr und an jedem zweiten Donnerstag im Monat von 17 bis 21 Uhr besuchen. Weitere Informationen unter www.kabarett.de.

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