Ambitionierter Entdeckergeist
NIEDER-OLM (27. Mai 20178). Das rheinhessische Städtchen ist keine Kulturmetropole, hat kein Theater, keine Oper, keine Philharmonie. Und doch finden hier bemerkenswerte Konzerte statt: In der katholischen Pfarrkirche St. Georg gastierten bereits Ensembles von Weltruhm: Chanticleer, Voces8, das Hilliard-Ensemble.
Mit diesen kann und wollen sich die Mitwirkenden der Musica Sacra am Wormser Dom natürlich nicht messen. Und doch reiht sich das jüngste Gastspiel unter der Leitung von Domkantor Dan Zerfaß da irgendwie doch ein – als Konzert mit Werken von Heinrich Ignaz Biber (1644-1704), das allein schon angesichts des Seltenheitswerts etwas Besonderes ist.
CD-Einspielungen mit „der Marienvesper“ von Biber gaukeln deren Existenz genauso vor wie das Konzertplakat, das neben den Aufführenden – Solisten, die Churpfälzische Hofcapelle, das collegium vocale sowie die Choralschola am Wormser Dom – eben dieses „Werk“ ankündigte. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass eine solche Vesper von Biber nicht klar definiert vorliegt und der Komponist vielmehr ein umfangreiches Kompendium an Psalm- und Magnificat-Vertonungen zusammentrug. Dan Zerfaß hat hieraus eine eigene Marienvesper zusammengestellt, die zwei Wochen später auch im Wormser Dom erklingen wird.
Ergänzt werden die Kompositionen Bibers – „Dixit Dominus“, „Laudate pueri“, „Laetatus sum“, „Nisi Dominus“, „Lauda Jerusalem Dominus“, „Litaniae Lauretanae“ und ein Magnificat – in Nieder-Olm durch gregorianische Antiphone sowie Instrumentalstücke. Mit einer Ouvertüre in G-Dur von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1661-1746) macht die Churpfälzische Hofcapelle den Anfang. Musiziert wird auf historischen Instrumenten und mit einer kunstvollen Vitalität, dass es eine Freude ist: Violinen, Viola und eine Continuo-Gruppe aus Violoncello, Orgelpositiv und Kontrabass zeigen vorzüglich, wie jung Alte Musik klingen kann. Dank eleganter Transparenz schwingen sich die einzelnen Fugeneinsätze in den Gesamtklang, der tänzerische Duktus gefällt vorzüglich. Von Fischer erklingen ferner eine Passacaglia in d-Moll sowie eine Chaconne in G-Dur.
Was sich die Sängerinnen und Sänger des mit 26 Stimmen besetzten collegium vocale da vorgenommen haben, ist aller Ehren wert und gelingt beachtlich. Satt besetzt in den Frauenstimmen ist dennoch kein allzu großes Ungleichgewicht zu den eher spärlichen Männern (mehr Tenöre als Bässe!) zu hören. Und wenn hier mal die Intonation schwankt, stört das kaum weiter, denn das Unbekannte, das es hier mit der Musik Bibers zu entdecken gibt, schlägt einen viel mehr in den Bann. Das Solistenquartett – Monika Merz (Sopran), Regine Müller-Laupert (Alt), Fabian Kelly (Tenor) und Michael Marz (Bass) – musiziert ausgewogen und klangschön; einzig Marz könnte seinen Partien dynamisch etwas mehr Gewicht geben. Dankenswerterweise wird hier weniger solistisch agiert, sondern eher als „kleiner Chor“ im Großen gesungen, was sich dann gediegen mit dem Tutti mischt. Und wenn hier die Diktion zuweilen noch schärfer ausfiele, bekämen die Gesänge auch noch mehr Kontur. Doch dem collegium vocale gelingen wunderbare Partien wie die weit gespannten Fugeneinsätze im „Nisi Dominus“ oder der spannungsreiche Einsatz nach dem instrumentalen Intermezzo mit Fischers Passacaglia.
Arbeiten Laien- mit Profimusikern zusammen, ist es gut, wenn letztere flexibel agieren. Und dies ist bei der Churpfälzischen Hofcapelle eindeutig der Fall: Droht der vokale Klangkörper agogisch ein wenig vorzupreschen, fangen ihn die Instrumentalisten schnell wieder ein und führen ihn behutsam ins Metrum zurück.
Nur die Gesänge der Choralschola dürften gerne ein wenig lebendiger gestaltet werden, um den besonderen Reiz der Gregorianik hervorzuheben. Die Ergänzung der Psalmvertonungen verleiht der Darbietung des Chores jedoch eine zusätzliche, sakrale Dimension.