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Der Klang der russischen Seele

SAULHEIM (29. Juni 2018). Offenbar nur aus Routine schlägt Victor Smirnov die Stimmgabel an und prüft kurz die Intonation – ein Nicken in Richtung seines Tenorkollegen Innokenti Jaroslawski und der stimmt in gleicher Tonlage das nächste Stück an, die Intonation des Quintetts ist perfekt.

Auf der Bühne der Saulheimer Sängerhalle steht das russische Vokalensemble „Anima“, zu Deutsch: Seele. Und die ist an diesem frühen Abend fast schon mit Händen zu greifen, so innig stimmen die Gäste aus St. Petersburg die Lieder ihrer Heimat an. Im ersten Teil erklingen geistliche Werke der russisch-orthodoxen Kirche, im zweiten Teil Volksweisen.

Die melodische Akkordführung russischer Musik wird von „Anima“ elegant aufgriffen und in puren Wohlklang verwandelt. Dabei steht gar nicht so sehr ein perfekter Belcanto im Zentrum, sondern vielmehr das Wesen des Klangs, Musik, die von innen kommt. Der strahlende Bariton Alexej Buzakins ist buchstäblich ergreifend und füllt die Sängerhalle bis in den letzten Winkel aus. Buzakin singt mit Smirnov und Jaroslawski sowie Sergei Plaschek (Bass) und Egor Nikolaev (Tenor), der auch ins Altregister wechselt und dabei an den lyrisch-fragilen Ton von Ari Leschnikow, den legendären, hohen Tenor der Comedian Harmonists, erinnert. Tatsächlich erklingt zum Schluss ein russisches Abschiedslied aus dem Repertoire der großen Idole – und man „vermisst“ höchstens den damaligen Pianisten Erwin Bootz.

Es ist erstaunlich, welche Künstler die Singakademie Saulheim immer wieder nach Rheinhessen holt. Dabei kann man vor allem auf Werner Schüßler und seine herausragende Vernetzung mit der internationalen Chorszene setzen. Er lud auch „Anima“ ein. Das Vokalensemble besteht aus Absolventen des Rimski-Korsakow-Konservatoriums, die sowohl in der russischen Heimat als auch im europäischen Ausland konzertieren. In Deutschland ist „Anima“ ebenfalls gern gehörter Gast.

Und erfolgreicher Teilnehmer bei Chorwettbewerben von Weltrang: Erste Plätze in Darmstadt sowie zweite und dritte im spanischen Tolosa dokumentieren die hohe Qualität des Ensembles ebenso wie Konzerte im Rahmen des renommierten Festivals Musica Sacra International in Marktoberndorf, bei den Musikfestspielen Saar (wo man als „bestes Vokalensemble Russlands“ gefeiert wurde), beim Schleswig-Holstein-Musik-Festival oder als Vertreter Osteuropas beim Weltsymposium Chormusik im japanischen Kyoto.

„Anima“ hat sich eine möglichst umfassende Repertoirebreite zum Ziel gesetzt. Die seit der Gründung 1992 aufgenommenen zehn Tonträger dokumentieren, wie intensiv das Quintett an der Realisierung arbeitet. Im Repertoire finden sich Werke aller Epochen von Orlando di Lasso und William Byrd über Johann Sebastian Bach, Gabriel Fauré oder Johannes Brahms bis hin zu zeitgenössischen Komponisten wie Knut Nystedt.

Markenzeichen des Ensembles sind dabei die attraktiven Bearbeitungen von Originalkompositionen, wobei Victor Smirnov aks Künstlerischer Leiter die Qualitäten jedes Mitglieds individuell zum Klingen bringt. Dadurch erhält der Gesamtklang von „Anima“, dessen Mitglieder alle in weiteren Chören und Ensembles wirken, einen ganz eigenen, kernigen Schmelz.

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