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Bach trifft auf Bigband

MAINZ – Sieht man augenzwinkernd mal davon ab, dass Johann Sebastian Bach (1685-1750) in vielen seiner Kompositionen bereits 200 Jahre zuvor die Swing-Ära „vorausahnte“, war es Mitte des 20. Jahrhunderts der Arrangeur Jacques Loussier, der jene musikalischen Elemente mit Hilfe von Schlagzeug und Bass offen hörbar freilegte. Bis heute hat dieser große Franzose viele Nachahmer gefunden, auch wenn das Original „Play Bach“ kaum zu erreichen ist. Es sei denn, man nähert sich dem Phänomen Bach und Swing von einer ganz anderen Seite – wie Manfred Sebastian Schmitt jetzt in der Mainzer Christuskirche.

Statt kleiner Jazz-Combo arbeitet er mit der klassischen Bigband und auch die Werkauswahl des Projekts „Bach 2010“ ist eine pikante. Natürlich stehen das Largo aus dem f-moll-Konzert für Cembalo und die Air aus der dritten Orchestersuite auf dem Programm – ohne sie kommt offenbar kein von Bach inspirierter Jazz-Musiker aus. Schmitt aber hat sich die Kantate 82 „Ich habe genug“ vorgenommen und sie so bearbeitet, dass sie ohne jeden Kirchentags-Gout in neuem, leichten Gewand erscheint.

Los geht es mit der Choral-Bearbeitung „Gib Dich zufrieden und sei stille“: Ein Flügelhorn intoniert den Cantus firmus, den Arrangeur und Bandleader Schmitt immer wieder von den anderen Instrumenten aufgreifen lässt. Satter Bläsersound schwillt an, um mit mächtigem Glissando im Piano-Solo mündend zu verklingen.

Bach taucht dabei auf und im nächsten Moment wieder in den erfrischenden Wogen der Bigband unter, ist jedoch inmitten des polyphonen Klangteppichs mit seinen Soli-Dialogen, Akkordbrechungen und den Shouts der Trompeten stets präsent. Das glänzend aufgelegte m.s.schmitt-jazzorchester wechselt anregend zwischen reinem Zitat des Originals und großartigen freien Passagen, wodurch die Musik ihres Korsetts aus Metrik, Tempo und Dynamik entledigt wird.

Kernstück des Konzerts ist die Kantate 82, für die sich (wie zum abschließenden „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ aus den Schemelli-Liedern) die Sängerin Sarah Lipfert zur Bigband gesellt: In den drei Arien singt sie mit berührendem Timbre die von Bach gesetzten Arienmelodien als barocke Konstante im Dialog mit der Bigband, die sich des jeweiligen Themas mal in engem, mal in weiterem Umkreisen nähert.

Die Rezitative spricht Lipfert dann auf die ruhigen Akkorde des Pianos, das die einzelnen Nummern elegant zum überzeugenden Ganzen verbindet. Und so bleibt Schmitt auch in der Kantate nicht zwanghaft bei Bach, kehrt jedoch immer wieder zum Essentiellen zurück. Fazit: Die Überraschung ist gelungen – und der Thomaskantor hat dem Arrangeur über 200 weitere Kantaten hinterlassen…

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