Exotische Töne mit atmosphärischer Dichte
MITTELHEIM – Der Klang ist kein völlig unbekannter und dennoch gewöhnungsbedürftig: Violoncello und Bajan, die russische Variante des chromatischen Knopfakkordeons. Wie bei einer exotischen Speise ist man zunächst ein bisschen verwirrt: Der Gaumen muss sich erst gewöhnen und die Geschmacksknospen wollen auf den neuen Gusto eingestimmt werden. Doch siehe da: Es mundet und am Ende fragt man sich verwundert, warum derart Köstliches so selten auf den Tisch kommt.
Die Antwort ist schlicht, dass es kaum Kompositionen für diese Besetzung außer der Reihe gibt. Das Akkordeon hat zwar bereits seinen Platz auf der Konzertbühne – aber im Zusammenspiel mit dem Violoncello? Im Konzert des Rheingau Musik Festivals war in der intimen Atmosphäre der Basilika Mittelheim neben zahlreichen und attraktiven Bearbeitungen daher auch nur eine Originalkomposition zu hören.
Die Künstler des Abends freilich – der Cellist Nicolas Altstaedt und die Bajan-Spielerin Elsbeth Moser – scheinen wie geschaffen für das gemeinsame Musizieren: Altstaedt spielt sein Instrument von Nicolas Lupot (1821) mit unglaublich intensivem Ton: Voll, rund und warm strahlen die Saitenklänge ins Kirchenschiff.
Daneben baut das Bajan – das russische Wort heißt ins deutsche übertragen so viel wie Barde oder Rhapsode – eine massive Klangkulisse auf, die vom gehauchten Bass bis zum hohen Diskant reicht. Doch diese Decke aus Tönen ist durchlässig und bietet auch Raum für zarte Dynamik, die Moser ihrem Instrument äußerst flexibel und fließend zu entlocken versteht.
Natürlich sind es auch die Werke, die den Reiz des Abends ausmachen: die „Suite italienne“ von Igor Strawinsky, die kühn bearbeiteten Lieder von Guillaume de Machaut, Manuel de Fallas „Suite populaire espagnole“, Heitor Villa-Lobos‘ Aria aus der „Bachianas Brasileiras Nr. 5“ und ohne Frage „Café 1930“ und der Grand Tango von Astor Piazolla.
Einzig „In Croce“ von Sofia Gubaidulina (*1931) ist eine Komposition für Violoncello und Bajan. Hier bewegen sich Altstaedt und Moser gleichsam im Krebsgang aufeinander zu: Das Bajan kommt aus flirrender Höhe, das Cello aus der Tiefe. Quälend langsam geht diese Kreuz(ig)ung vonstatten, bis sich die Instrumente treffen und wieder voneinander weg bewegen: der Bajan in düstere Tiefen und das Cello in das Reich süßlicher Obertöne.
Vital, melancholisch, keck und launisch, atmosphärisch dicht und konturbetont wird ansonsten das Spannungsfeld zwischen höchster Virtuosität und burschikos Rustikalem umrissen: Mit ungeheurer Kraft, doch ohne hörbaren Druck lässt Nicolas Altstaedt hier Töne geradezu explodieren und setzt fast schon spürbare Akzente.
Bei Machaut hingegen verschwimmen die Melodien und nur schwer vermag man den Klang zuzuordnen. Dieses akustische Versteckspiel eröffnet dem Zuhörer jedoch ein Spektrum neuer Klangfarben, an denen man sich kaum satthören mag.
Die Aria aus „Bachianas Brasilieras“ fasst die Besonderheit des Duetts aus Violoncello und Bajan vielleicht am besten in ein klingendes Sinnbild: Hier verband Villa-Lobos barocke Kontrapunktik mit südamerikanischer Folklore und damit zwei stilistische Welten zu einer gänzlich neuen.