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Ein großer Dirigent nimmt Abschied

ANSBACH (22. Dezember 2011). Als die letzten Töne verklungen sind, herrscht fast schon eine gespenstische Stille, bis sich die spürbare Spannung in einem frenetischen Applaus auflöst, der ein Gefühl ausdrückt: Dankbarkeit für 34 Jahre Leitung des Windsbacher Knabenchores. Um Fassung bemüht nimmt Beringer die Huldigung entgegen und auch im Chor ringt mancher mit den Tränen, viele lassen ihren Gefühlen freien Lauf.

Und keiner wird das Bild so schnell vergessen, als plötzlich jeder Chorist eine blühende Rose in der Hand hält. Auch hier: Dankbarkeit. Und tiefe Traurigkeit, dass Beringer nun nicht mehr der Dirigent ist. Nach vier weihnachtlichen Zugaben kommen auch „dem Chef“ die Tränen und als der Chor nach Standing Ovations abtritt, verabschiedet sich Karl-Friedrich Beringer von jedem „seiner“ Windsbacher persönlich. Da gerät das brillante Konzert, das man vorher gehört hat, fast in den Hintergrund.

Aber das sollte es nicht, zeigten sich die Musiker doch allesamt auf einem unglaublich hohen Niveau: der Knabenchor begeistert und begeisternd, in Diktion und Intonation klar wie ein geschliffener Diamant, die Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin beschwingt und von kammermusikalischer Schärfe, die handverlesenen Solisten in ihrer Subjektivität überzeugend. Bachs Weihnachtsoratorium in St. Gumbertus hat heute seinen konzertanten Gout abgelegt, ist ganz Predigt, Verkündigung, Evangelium eben: Hier erklingt die frohe Botschaft von Christi Geburt.

Die einzelnen Partien gestaltet Beringer einfallsreich und mit mancher Überraschung: In der Reprise des Eingangschores der ersten Kantate verbeugt sich das Orchester gleichsam in jähem Pianissimo, um mit dem Chor sogleich wieder in das himmlische Jauchzen einzustimmen. Da jubelt der Chor „Ehre sei Gott in der Höhe“, samtweich ertönt der Wunsch nach „Friede auf Erden“, mitreißend der Schlusschoral „Wir singen Dir in Deinem Heer“ und fast sieht man die Hirten auf leichten Sohlen nach Bethlehem eilen.

Einmal mehr pflegt Beringer wie kaum ein anderer die Choräle, macht sie zu wahren Kleinodien der Bachschen Musik: „Wie soll ich Dich empfangen?“ fragt der Chor fast schüchtern, um den Heiland dann innerlich erstarkt um Erleuchtung zu bitten. Diese geistige Genese gelingt Beringer in nur wenigen Takten. Dann bricht das Morgenlicht in gleißendem Licht an und der Chor staunt ungläubig und damit umso glaubhafter: „Das hat er allen uns getan…“

Jeder weiß um die historische Bedeutung dieses Konzerts für Beringer und seinen Chor – auch das Orchester und die Solisten: Plastisch erklingt die pastorale Hirtenmusik in der Sinfonia zu Beginn der zweiten Kantate; der Klangkörper übernimmt die Vitalität des Chores, jene Transparenz mit den intelligenten und originalen Phrasierungen, der spannenden Dynamik. Ein Übriges tun die herausragenden Instrumentalsolisten in den Arien.

Die Vokalisten gestalten ihre Partien respektvoll und ergreifend gleichermaßen: Markus Schäfer (Tenor) gibt den eleganten Erzähler und glänzt agil in der Arie „Frohe Hirten, eilt“; Jutta Böhnert (Sopran) verkündet engelsgleich die Geburt des Heilands; Rebecca Martin (Alt) erweckt in ihrer Arie „Bereite Dich, Zion“ innig die zärtlichen Trieben gegenüber dem „Schönsten und Liebsten“ und ermuntert die gläubige Seele: „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder fest in Deinem Glauben ein!“ Als perfekte Besetzung erweist sich vor allem Thomas Laske (Bass), dessen fesselnd klare Rezitative sich in der ergriffenen Schilderung Schäfers spiegeln und der in seinen Arien packend brilliert, ob allein im preisenden „Großer Herr, o starker König“ oder im anmutigen Duett mit Jutta Böhnert.

Wo manch andere Interpretation ihre Längen hat, ging Beringer mit seinen Windsbachern immer wieder neue Wege, auf denen man ihm und ihnen gerne folgte. Am Vorabend des letzten Konzerts nannte ihn Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm schlicht einen Evangelisten. Und wo andere Künstler sich im von Honoratioren beschworenen Ruhm verdientermaßen sonnen würden, stellt sich Karl-Friedrich Beringer ganz in den Schatten der Bachschen Musik.

Eine kleine Geste am Schluss sagt mehr als alle Worte: Das Podest des Dirigenten ist leicht erhöht, doch Beringer betritt es nicht, um den Applaus entgegenzunehmen – im Gegenteil: Er macht einen Schritt zurück, in die Reihe der Solisten, in Richtung Chor und Orchester. Diese Geste macht ihn umso sympathischer und das letzte Konzert der Windsbacher unter seiner Leitung unvergesslich: Soli deo gloria.

Doch um die Objektivität zu wahren sei auch ein Punkt kritisiert, denn an jener Stelle stimmt die Leistung des Chores mit dem gesungenen Text nicht überein, ja widerspricht ihm frappant: Zu Beginn und am Schluss der dritten Kantate heißt es „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen, lass Dir die matten Gesänge gefallen“. Hier irrt Picander! Für den Windsbacher Knabenchor unter der Leitung von Karl-Friedrich Beringer hätte er sicherlich andere Verse geschmiedet…

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