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Trauermusik zum Geburtstag

WIESBADEN (9. November 2025). Es gibt zahlreiche Vertonungen der lateinischen Totenmesse „Missa pro defunctis“, besser bekannt als Requiem. Sofort kommen einem da natürlich Wolfgang Amadeus Mozart, Guiseppe Verdi oder Gabriel Fauré in den Sinn. Ein älterer Meister, der sich von dieser Liturgie inspirieren ließ und eine Gedenkmesse auf den 1711 verstorbenen Kaiser Joseph I. komponierte, war der böhmische Komponist Jan Dismas Zelenka. Sein (protestantischer) Zeitgenosse Johann Sebastian Bach schrieb indes kein Requiem, mit der Kantate BWV 198 „Lass. Fürstin, lass noch einen Strahl“ wohl aber eine vergleichbare Trauerode. Beide Werke kamen jetzt im Rahmen der 50. Wiesbadener Bachwoche zur Aufführung, womit sich Martin Lutz als Gründer und künstlerischer Leiter der Reihe einen Herzenswunsch erfüllte.

Und damit nicht genug: Für die üppig besetzten Musiken hatte der Dirigent befreundete Künstlerinnen und Künstler angefragt, um eine „Cappella degli amici“ zu besetzten. Laut eigenen Worten war es für Lutz in seiner 40-jährigen Musikerlaufbahn „ein Lebensglück, immer wieder mit Spitzenmusikern aus ganz Europa zusammen zu konzertieren“: Jede und jeder von ihnen ist in der Alte-Musik-Szene sozusagen von Rang und Namen – als Solist, Hochschullehrer oder Mitglied exzellenter Ensembles. Alle folgten nun Lutz‘ Einladung, dieses Konzert mitzugestalten, nur zu gerne.

Dazu gehörten auch die acht Vokalisten der „Cantori del Venosa“: Die jungen und höchst talentierten Stimmen aus dem Rhein-Main-Gebiet haben sich 2021 auf Initiative von Christian Rohrbach zusammengefunden, um Musik der Barockzeit aufzuführen, womit sie wiederholt auch bei RheinVokal auftraten. An diesem Abend stellten Agnes Kovacs und Jaekyung Jo (Sopran), Julia Diefenbach und Rohrbach (Alt), Jonas Boy und Erik Grevenbrock-Reinhardt (Tenor) sowie Johannes Hill und Florian Küppers (Bass) die delikate Besetzung.

Vor dem ersten Akkord ergriff Dirigent Martin Lutz das Wort und betonte, dass dieses Konzert „nicht alltäglich“ sei und wie glücklich er, das Orchester und die Vokalisten seien, sich mit diesen beiden Werken auseinandersetzen zu dürfen. Diese sicherlich nicht zufällig gewählten Worte dokumentierten eine tiefe Demut vor der Größe der Musik, die deren Würde nochmals potenzierte. Zelenka machte den Anfang und einmal mehr wurde deutlich, wieviel es noch in der Zeit des Barock zu entdecken gibt und wie groß die Schatten von Bach & Co sind: Lutz zog den Böhmen mit herzlicher Geste daraus hervor und stellte ihn ins verdiente Scheinwerferlicht.

Das strahlte mit dem packenden Zusammenspiel aller Mitwirkenden indes umso heller: Die bestens aufgelegte „Cappella degli amici“ musizierte frisch und lebendig, worin man ein glasklares Spiegelbild der Vokalisten bewundern konnte. Die „Cantori del Venosa“ beeindruckten mit passgenauen Fugeneinsätzen und füllten mit ihren gerade mal acht Stimmen den Raum der Lutherkirche voll aus, wobei sich die mit je zwei Stimmen besetzten Register zu einem transparenten und homogenen Klangbild mischten. Aus diesem Tutti traten einzelne Stimmen für Solopartien in divergierenden Paarungen hervor.

In seinem d-Moll-Requiem ZWV 48, das von erhabenem Ernst geprägt ist, nutzt Zelenka alle Finessen der damaligen Kompositionskunst. Sieben Fugen, teils mit faszinierender Chromatik, sind in diesem rund 45-minütigen Werk zu hören und allein das „Dies irae“, dessen Text von verschiedenen Solostimmen vorgetragen wird, ist ein Erlebnis für sich, zumal die Sängerinnen und Sänger hier von ebenfalls solistisch spielenden Instrumentalisten begleitet werden.

Bemerkenswert war Lutz‘ dynamische Gestaltung: In ein feines Pianissimo zurückgestuft erklangen die Stimmen plötzlich wie ein Fernchor, was der Musik eine bezaubernde Dreidimensionalität verlieh – nur eine von vielen markanten Eigenheiten dieses Konzerts. So, wie die Künstlerinnen und Künstler diese Musik interpretierten, wurde ihre Tiefe mit präziser Klarheit ausgeleuchtet, wodurch auch die Glaubensgewissheit früherer Tage ergreifend abgebildet wurde: Obschon in konzertantem Rahmen und als Bachwochen-Beitrag aufgeführt, erklang Zelenkas „Requiem“ wie in einem Gottesdienst.

Dort wurde Bachs weltliche „Trauerode“ nicht aufgeführt, sondern als Beitrag einer akademischen Feier zum Gedenken an die 1727 im Exil verstorbene polnische Königin und sächsische Kurfürstin Christiane Eberhardine, Gattin des aus politischen Gründen zum Katholizismus konvertierten August III. An seinem Hofe war Zelenka katholischer Hofkapellmeister und Johann Sebastian Bach zumindest dem Titel nach evangelischer. Er komponierte seine Trauerode auf die glühenden Verse des Aufklärers Johann Christoph Gottsched und schuf damit eine seiner intensivsten Vokalwerke. Auch hier durfte das Publikum ein minutiöses Ineinandergreifen von Chor, Soli und Orchester goutieren.

Martin Lutz, dem man das selige und für gerade diese Werke entflammte Musizieren in jeder Geste ansah, hatte mit seiner Vorrede Recht behalten: Man erlebte, wie sich die Begeisterung aller Mitwirkenden für Zelenkas Requiem und Bachs Trauerode, jenes vom Dirigenten betonte Glücksempfinden, ohne Reibungsverluste auf die Wiedergabe übertrug – ein schönes Geschenk ans Publikum der 26. Wiesbadener Bachwoche, das sich dafür mit langanhaltendem Applaus bedankte.

Das komplette Bachwochen-Programm und die Möglichkeiten zum Kartenverkauf gibt es im Internet unter https://www.bach-wiesbaden.de.

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