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Der Beltracchi der Orgelmusik

JUGENHEIM (24. September 2023). Wer steht bei einem Orgelkonzert im Mittelpunkt: der Künstler, das Instrument oder die Musik? Im Idealfall natürlich alle drei, so wie beim dritten Konzert der Internationalen Musiktage mitten in Rheinhessen „Furioso!Barock“: In der evangelischen Kirche in Jugenheim musizierte der französische Organist David Cassan auf der historischen Orgel von 1762.

Dafür, dass dieser Dreiklang auch visuell erlebbar wurde, sorgte eine Videoübertragung auf eine riesige Leinwand, auf der das Publikum in der Jugenheimer Saalkirche dem Künstler buchstäblich auf die Finger schauen konnte. War ursprünglich ein reines Bach-Programm mit Improvisationen geplant, erzwangen die Gegebenheiten des Instruments eine Änderung, die das Konzert vielleicht noch hörenswerter machten, denn somit kam man in den Genuss eher selten zu hörender Stücke von Johann Pachelbel und Samuel Scheidt.

Den Beginn machte jedoch „ein echter Cassan“, nämlich eine Improvisation eines Concertos im barocken Stil: ein fulminanter Einstieg mit glitzerndem Allegro, samtweich-kantablem Largo und Funken schlagendem Vivace. Der Franzose machte kein Geheimnis daraus, wie sehr er in der Barockmusik beheimatet ist und wie sehr er sie daher auch durchdrungen hat. Wüsste man es nicht besser, man meinte, einen der alten Meister zu hören: Cassan gelang hier jedoch weit mehr als eine bloße Stilkopie – der Künstler tauchte tief in die Musik ein und erwies sich augenzwinkernd als ein Beltracchi der Orgelmusik.

Um den einen Bach des Abends – die äußerst stimmungsvoll interpretierte F-Dur-Pastorale BWV 590, bei der vor allem die Wahl der Tempi als äußerst geschmackvoll, weil stets in der Balance gehalten in Erinnerung blieb – hörte das Publikum zwei spannende Variationswerke: die Choralpartita „Christus, der ist mein Leben“ von Pachelbel und Variationen über das weltliche Lied „Ach Du feiner Reiter“ SSWV 111 von Samuel Scheidt. Beide waren maßgebliche Wegweiser der Orgelmusik und David Cassan erwies ihnen respektvoll Referenz.

Dabei stellte er vor allem bei Scheidt die Klangmöglichkeiten der ursprünglich in einem Mainzer Welschnonnenkloster installierten Orgel aus der Werkstatt von Philipp Ernst Wegmann aus Frankfurt ansprechend dar: Mal erklang der Cantus umspielt, mal mit Vibrato, originell registriert oder gespickt mit Chromatik und Modulationen. Schaute man dem von SWR-Kameramann Kevin Dammer souverän und gefühlvoll im Bild eingefangenen Spiel Cassans zu, fragte man sich zuweilen, ob der Organist das Instrument spielt oder ob es sich vielleicht umgekehrt verhielt. Auf jeden Fall verstand es der Künstler, mit der Orgel eins zu werden und den Raum der Saalkirche mit feinem Klang zu fluten.

Auch der Schluss gehörte wieder der Gunst und Kunst des Augenblicks – und der der Variation: Für die Improvisation einer Passacaglia und Fuge „en style baroque“ hatte Cassan von Felix Koch, dem künstlerischen Leiter des Festivals, zehn Minuten vor dem Konzert ein achttaktiges Thema erhalten, das er nun in rund 20 Durchläufen für die Passacaglia kunstvoll variierte: Ständig wechselnde Klangfarben, Registrierungen, Rhythmen und Stimmungen ließen immer wieder Erinnerungen an Bachs berühmtes Schwesterwerk BWV 582 aufblitzen; die Fuge bildete den meisterhaften Abschluss des Gastspiels, bevor der gefragte und auch an diesem Abend gefeierte Organist am nächsten Tag für ein Konzert nach Polen weiterreiste.

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