Im Kampf gegen eine kulturelle Verarmung
MAINZ (24. August 2022). Seit 2006 beschäftigt sich die Pianistin Claudia Meinardus mit der Musik von Komponistinnen. Im Mainzer Peter-Cornelius-Konservatorium, wo sie als Dozentin unterrichtet, wird hierzu im September ein Konzertreihe fortgesetzt. Wir sprachen mit der Künstlerin darüber:
Frau Meinardus, wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Intuitiv. Und auch nach Lust. Vor längerer Zeit hatte ich Musik von Delphine von Schauroth gespielt und war einfach neugierig, was sie noch so geschrieben hat. In ihrer Biografie steht was von drei Sonaten, aber nur eine ist erhalten. Und zwar in einem Druck von 1834. Zum Glück ist das im Internet erhältlich, sonst käme man da gar nicht dran: Es ist einfach nicht verlegt. Ich höre viel Musik, auch viel im Radio: Der SWR oder Deutschlandfunk machen in dieser Richtung zum Glück einiges. In Frankfurt existiert das Archiv Frau und Musik und die haben dort von rund 1.800 Komponistinnen Werke, helfen einem bei der Suche und beraten einen. Es ist ein zum Glück großes und spannendes Forschungsfeld.
Wen gibt es hier denn zu entdecken?
Viele! Neben bekannten Namen wie Fanny Hensel oder Clara Schumann fallen mir die von Agnes Zimmermann, Amy Beach oder Carmen Guzman und Nadia Boulanger ein. Unter anderem diese Komponistinnen sind in unseren Konzerten im PCK zu hören und ihre Namen stehen vollkommen gleichberechtigt neben denen ihrer großen, weil viel bekannteren männlichen Kollegen.
Was ist das für Musik?
Es ist Musik aus der Zeit, in der diese Komponistinnen gelebt haben: vom Barock über die Klassik und Romantik bis in die Gegenwart. Wir spielen Kammermusik, Trios und Duosonaten. Aber es gibt auch große Werke, die wir in diesem Rahmen natürlich nicht musizieren können. Emilie Mayer zum Beispiel schrieb großartige Sinfonien und war zu ihrer Zeit, im 19. Jahrhundert, auch sehr bekannt. Sie lebte in Berlin und hatte große Teile ihres Vermögens dafür eingesetzt, damit ihre Werke aufgeführt wurden. Heute ist sie heute fast vollkommen vergessen. Und so ging es vielen.
Wie groß ist der Anteil der Frauen unter den Komponierenden?
Das kann man gar nicht beziffern, denn es werden ja immer wieder neue Namen und Werke entdeckt. Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten ist viel passiert. Nehmen wir nur mal Fanny Hensel: Das lag alles ganz lange im Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ist jetzt endlich wieder zu haben. Vorher wusste man ja gar nicht, was für eine großartige Komponistin Felix Mendelssohn zur Schwester hatte.
Schreiben Frauen eigentlich andere oder anders Musik als ihre Kollegen?
Nein, überhaupt nicht. Man kann sie gar nicht unter bestimmten Vorzeichen hören, weil es keinerlei Unterschiede gibt. Es ist einfach Musik aus der Zeit der Romantik und Klassik in den damals üblichen Formen, zum Beispiel Lieder ohne Worte, Sonaten, Sinfonien. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen gibt es großartige Musik und eher Mittelmaß, wo dann der Interpret gefordert ist, um etwas daraus zu machen. Und was auch für Komponisten gilt: Je leichter es aufführbar war, zum Beispiel für Klavier solo, desto größer war die Chance, dass es auch aufgeführt wurde. Als Pianistin profitiere ich davon natürlich.
Finden die Werke von Komponistinnen allgemein zu wenig Beachtung in den Konzertprogrammen?
Auf jeden Fall, ja! Im Moment ist das Interesse hierfür etwas größer und heutige Komponistinnen sind viel selbstbewusster. Der Markt ist auch offener. Trotzdem: Wenn man in die Konzertprogramme schaut, vor allem die von Pianisten: Da hört man immer wieder dieselben Sonaten von Beethoven, Schumann oder Schubert. Nicht, dass das keine großartige Musik ist – aber ich betrachte dieses Fokussieren eigentlich als eine kulturelle Verarmung.
Woran liegt das in Ihren Augen und warum ist das ein Fehler?
Es ist nicht so viel bekannt und daher kommen die Menschen damit auch schwer in Kontakt. Vor allem die Interpreten: Ich spiele Klavier seit ich fünf bin und wusste meine ganze Schulzeit über und auch im Studium nicht, dass es Musik von Frauen gibt! Das ist nun schon lange her und heute sicher auch etwas anderes, aber noch immer erfährt man zu wenig. Auch beim Lehrpersonal könnte das Interesse größer sein. Dann kommt man oft schlecht an die Noten. Und es gibt leider eben noch heftige Vorurteile.
Tatsächlich?
Ja, man traut Frauen das nicht zu. Das Argument dabei lautet: Wenn es gut und qualitativ wertig sei, hätte es sich ja auch durchgesetzt. Aber die Frauen hatten ja oft gar nicht die Möglichkeit, sich da zu beweisen. Etwas, von dem viele in meiner Elterngeneration und sogar meine eigene Mutter, eine studierte Frau, überzeugt waren: Frauen können nicht derart schöpferisch tätig werden, die haben einfach nicht den Geist dafür (lacht).
Auf Ihrer Homepage stellen Sie ihr Repertoire vor und trennen bewusst zwischen männlichen und weiblichen Komponisten. Warum?
Das liegt schlicht daran, dass ich meinen Fokus verstärkt auf die Musik von Frauen gelenkt habe. Aber ich spiele natürlich auch Werke von Komponisten und die sind mir auch gleich lieb. Es ist keine Wertung, sondern dient vor allem der besseren Auffindbarkeit.
Geht man die hier aufgeführten Namen durch, kann man vor allem Fanny Hensel und Clara Wieck mit Musik verbinden. Und doch werden die beiden immer auch in den Verbindungen Schwester bzw. Gattin von genannt. Wie reagierte denn die Kunstwelt der Romantik auf weibliche Komponisten?
Ich glaube, sie war interessiert. Da gab es ja diese reisenden Virtuosen, die vor allem ihre eigenen Werke spielten. Ich glaube, dass man gar keine großen Unterschiede zwischen Mann und Frau gemacht hat. Es wurde aber nicht viel verlegt und danach hat man sich nicht groß drum gekümmert. Fanny Hensel zum Beispiel spielte selbst nicht öffentlich, pflegte aber einen offenen Salon, in dem die ganze Kunstwelt von Berlin ein- und ausging. Und hier wurden ihre großen Werke auch von namhaften Interpreten gespielt. Offensichtlich genoss sie da eine große Wertschätzung.
Gibt es Künstlerinnen und Werke, die Ihnen persönlich besonders am Herzen liegen?
Zum Beispiel unterrichtete ich vor kurzem das Klavierkonzert von Clara Schumann, ein unglaublich kühnes Werk, das sie mit 15, 16 Jahren geschrieben hat. Das hat eine solche Kraft, einen jugendlichen Elan und ist dabei so hochvirtuos. Was ich auch am 2. Oktober spiele, ist die c-Moll-Sonate von Delphine von Schauroth, geschrieben mit 18 Jahren und von Robert Schumann sehr wohlwollend rezensiert. Diese Musik strahlt so viel positive Kraft aus und hat einen sehr empfindsamen zweiten Satz. Und auf jeden Fall Mel Bonis, die auch phantastische Sachen für Kinder komponiert hat.
Weitere Informationen zur Künstlerin und ihrer Arbeit unter http://femalecomposers.wordpress.com.