» Musik

Worte für die Ewigkeit

OBERNDORF/ÖSTERREICH (24. Dezember 2016). Vor zehn Jahren veröffentlichten Wissenschaftler britischer Universitäten das Ergebnis Ihrer Überlegungen, was wohl zuerst dagewesen sei: das Huhn oder das Ei? Angeblich war es letzteres. Beim wohl bekanntesten Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ ist die Antwort eindeutig: Zwei Jahre, bevor der Dorfschullehrer und Organist Franz Xaver Gruber (1787-1863) 1818 die wiegende Melodie ersann, dichtete der Pfarrer Joseph Mohr (1792-1848) den Text dazu: Somit feiern die berühmten Verse des Weihnachtsklassikers 2016 ihr 200. Jubiläum.

„Glade jul, dejlige jul“ auf Dänisch, „Jouluyö, juhlayö“ auf Finnisch, „Astro del Ciel“ auf Italienisch, „Cicha noc, święta noc“ auf Polnisch, „Noche de paz“ auf Spanisch, „Tichá noc, svatá noc“ auf Tschechisch – wo immer auf der Welt Weihnachten gefeiert wird, gehört „Stille Nacht, heilige Nacht“ dazu. Auf einer Internetseite finden sich fast 150 Übersetzungen des Liedes, das an Heiligabend 1818 zum ersten Mal in der Kirche St. Nikolaus in Oberndorf nahe Salzburg erklang.

Mohr hatte Gruber um die Vertonung seiner Verse gebeten und der schuf Musik für die Ewigkeit: Auf Schallplatte wurde „Stille Nacht, heilige Nacht“ erstmals 1905 gebannt, gespielt vom amerikanischen Haydn-Quartett – 111 Jahre später gehört es zum meistverkauften Weihnachtslied weltweit. Allein die Aufnahme des Sängers Bing Crosby aus dem Jahr 1935 ging bis heute rund zehn Millionen Mal über den Ladentisch.

Dichter und Komponist gerieten anfangs jedoch erstmal in Vergessenheit. Der Cantus begann zwar bald seine Reise in die Welt und erklang auch am Hof des Habsburger Kaisers Franz I., galt aber als Tiroler Volkslied. Als Verfasser wurde eine Zeit lang sogar Joseph Haydns Bruder Michael (1737-1806) genannt. Das Lied fand seinen Weg über Dresden auch bis an den Hof des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861), der es sehr schätzte und 1854 beim Salzburger Stift Sankt Peter um eine Abschrift bat.

„Es war am 24. Dezember des Jahres 1818…“
Dort stieß man dann auf den wahren Komponisten, der in seiner „Authentischen Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘“ die Urheberschaft dokumentierte: „Es war am 24. Dezember des Jahres 1818, als der damalige Hilfspriester Herr Joseph Mohr bei der neu errichteten Pfarre St. Nicola in Oberndorf dem Organistendienst vertretenden Franz Gruber (damals zugleich auch Schullehrer in Arnsdorf) ein Gedicht überreichte, mit dem Ansuchen eine hierauf passende Melodie für 2 Solostimmen sammt Chor und für eine Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen“, heißt es in diesem handschriftlich verfassten Akt.

Die Geschichte ist mehrfach verfilmt worden: Bereits 1934 erschien „Das unsterbliche Lied“ als sentimentaler Heimatfilm. „Das ewige Lied“ wurde 1997 mit Tobias Moretti in der Hauptrolle des Pfarrers Mohr in Szene gesetzt und 2013 flimmerte der Film „Stille Nacht“ des österreichischen Regisseurs Christian Vuissa erstmals über die Kinoleinwand. In diesem Streifen wird der katholische Priester Joseph Mohr (Carsten Clemens) im Jahre 1817 zum Dienst nach Oberndorf bei Salzburg berufen, wo Armut und Hoffnungslosigkeit herrschen.

Frohe Botschaft für alle
Durch Predigten und Musik auf Deutsch anstatt in der Amtssprache Latein will er die frohe Botschaft allen Menschen zugänglich machen. Doch derart progressive Ideen stoßen bei seinem Vorgesetzten auf kein offenes Ohr, Mohr drohen disziplinarische Maßnahmen. Zusammen mit Franz Gruber (Markus von Lingen) findet er eine Möglichkeit, seine Mission fortzuführen und den Menschen die wahre Bedeutung der Heiligen Nacht näher zu bringen: Am Weihnachtsabend vertont Gruber die bekannten Verse Mohrs und es entsteht das „Lied der Lieder“.

Um die Pflege des vor allen in Österreich zum immateriellen Kulturgut gehörenden Liedes kümmert sich seit 1972 eine eigene Stille-Nacht-Gesellschaft e.V. mit Sitz in Oberndorf. Sie erforscht unter anderem das historische Umfeld der Entstehungszeit: Das Jahr 1818 fiel in eine aufgewühlte Epoche, die Napoleonischen Kriege waren zu Ende gegangen und Europa erfuhr auf dem Wiener Kongress eine Neuordnung, in deren Verlauf ja auch Rheinhessen entstand. Im Zuge dieser Ereignisse hatte das geistliche Fürstentum Salzburg seine Selbständigkeit verloren und wurde säkularisiert.

Ein Teil Salzburgs war 1816 zu Bayern gekommen, der größere zu Österreich. Der Uraufführungsort von „Stille Nacht, heilige Nacht“ wurde von seinem Stadtzentrum in Laufen, heute in Bayern gelegen, getrennt und die Salzach zur Staatsgrenze. Der Fluss hatte durch den Salztransport über Jahrhunderte die Grundlage für den Wohlstand in der Region gebildet, nun aber blickten die Schifffahrt und die hier arbeitenden Menschen unsicheren Zeiten entgegen. In diesen Jahren war Franz Mohr nach Oberndorf gekommen.

Geboren wurde er am 11. Dezember 1792 als eines von mehreren unehelichen Kindern des Soldaten Franz Mohr aus Mariapfarr und seiner späteren Frau Anna Schoiber aus Salzburg. Schon früh fiel die musikalische Begabung des Jungen auf, der durch die finanzielle Unterstützung des Salzburger Domvikars Johann Nepomuk Hiernle das Akademische Gymnasium in Salzburg und später das Stiftsgymnasium Kremsmünster in Oberösterreich besuchen konnte. 1811 begann Mohr in Salzburg das Theologiestudium und wurde vier Jahre später zum Priester geweiht.

Sehnsucht nach Frieden
Erste Stationen führten ihn nach Ramsau bei Berchtesgarden und Mariapfarr. Auch dieser Ort, an dem er die berühmten Textzeilen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ verfasste, war vom Abzug der bayerischen Besatzungstruppen in Mitleidenschaft gezogen worden, weswegen die Sehnsucht nach Frieden in der vierten Strophe des Weihnachtsliedes besungen wird: „Stille Nacht, heilige Nacht! / Wo sich heut alle Macht / Väterlicher Liebe ergoss / Und als Bruder huldvoll umschloss / Jesus die Völker der Welt, / Jesus die Völker der Welt!“

1817 kam Mohr dann in die Heimatgemeinde seines Vaters nach Oberndorf, wo er allerdings seinem Vorgesetzten Georg Heinrich Nöstler negativ auffiel. Der beschwerte sich an höherer Stelle darüber, dass dem Kollegen „weise Überlegung“ und „ein sichtlicher Fleiß“ fehlten und er sich nur nachlässig seiner Schularbeit und Krankenbesuchen widme, wie Mohr-Biograf Hans Spatzenegger schreibt. Nicht nur „der ganz tadellose priesterliche Wandel“ sei zu kritisieren: Mohr pflege zudem noch das Scherzen „auch mit Personen anderen Geschlechts“! Die Vorwürfe wurden überprüft und zurückgewiesen, so dass Mohr bis 1819 in Oberndorf blieb. Später wirkte er in weiteren Gemeinden und verstarb am 4. Dezember 1848 in Wagrain an einem Lungenleiden.

Auf ihrer Website http://www.stillenacht.at zählt die Stille-Nacht-Gesellschaft e.V. allein 14 Museen von Arnsdorf bis Wagrain auf, die sich mit dem Lied, seiner Historie und seinem Umfeld befassen. Mit der Herausgabe von Publikationen soll dem interessierten Publikum in aller Welt der aktuelle Wissensstand zur Entstehung und Verbreitung des Liedes präsentiert werden.

Bildnachweise
Oben: Jubiläumskarte zum Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ von 1918 (Verlag: Karl Dietrich, Laufen, Oberbayern); Mitte: Autograph undatiert, vermutlich um 1860; unter dem Titel: „Kirchenlied / auf die / heilige Christnacht.“; D-Dur, 6/8-Takt, für Sopran und Alt mit „stiller Orgelbegleitung“; sechs Strophen; Museum der Stadt Salzburg (Stille-Nacht-Gesellschaft e.V.); unten: Filmszene mit Carsten Clemens in der Rolle des Joseph Mohr [mit Gitarre] und Markus von Lingen als Franz Xaver Gruber in „Stille Nacht“ aus dem Jahr 2013 (Rekord Film-Vertrieb, Berlin).

zurück