Knallbunte Kulturgutpflege
MAINZ (9. August 2014). Natürlich wird er belächelt, der deutsche Schlager. Aber eben auch geliebt: SWR4 und der HR4 sind hierzulande die Spartenkanäle für diese Musik; Andrea Berg oder Helene Fischer feiern Triumphe auf der Bühne und selbst Beatrice Egli hat als einer der von Deutschlands gesuchten Superstars in diesem Genre Erfolg.
Der Schlager lebt – auch und vor allem Dieter Thomas Kuhn sei Dank. Seine Konzerte sind mehr: friedliche Versammlungen von Menschen aller Generationen zu einem kleinen deutschen Woodstock. In den „alten“ Liedern wird das Lebensgefühl einer ganzen Generation wach und alle wollen davon kosten wie die Bienen einst von dem Meer an Sonnenblumen, das sich den Stars des Abends wogend entgegenreckt.
Mainz, kurz nach acht Uhr, Zitadelle – die Fönfrisur sitzt und weder das Brusthaartoupet noch der den Sehnerv schwer irritierende rosa Glitzeranzug des Sängers sind durchgeschwitzt. Dafür begrüßt das Publikum von „Summer in the city“ diesen Barden der Extraklasse rasend. Zum akustischen Zeitsprung haben sich nicht nur die Musiker in die Schale der 70er Jahre des letzten Jahrtausends geworfen.
Fastnacht war gestern – heute feiert man in Mainz das „Festival der Liebe“ mit Schlaghose, Revers und Hemdkragen so groß wie Zeltbahnen sowie Brillen, hinter denen eine Großfamilie Platz fände. Hier feiert der Trainingsanzug seine Renaissance und so mancher Fan führt die Originalgarderobe vergangener Tage aus – seine oder die der Ahnen. Damit übernimmt das Publikum in diesem klangvollen Spektakel eine wichtige Rolle: Kuhn und Kumpanen stehen zwar auf der Bühne, doch ihre Zuhörer sind lebende Kulisse und werden somit Teil dieser organischen Inszenierung.
Kuhn singt die großen Hits originalgetreu oder bearbeitet und fast hört man die zackige Stimme von „Hitparaden“-Moderator Heck, der die Stars von gestern und vorgestern ansagt: „Meine Damen und Herren, hier kommen der Christian der Anders, der Peter der Alexander, der Rex der Gildo, der Reinhard der Mey!“ Im lauschigen Ambiente der Zitadelle genießt man mit wohliger Nostalgie die ironische Brechung der Adaption: In der kleinen Kneipe in unserer Straße wird gemeinsam mit Anita, Charly Brown und Dschingis Khan so lange griechischer Wein getrunken, bis man über sieben Brücken und den Wolken Samba tanzt, denn Wunder gibt es immer wieder, egal ob Freunde oder Fremde: Hauptsache mit Sahne. Kuhn und seine Kapelle spielen wie der Teufel, der laut Udo Jürgens ja den Schnaps gemacht hat. Da bricht sich die leicht angestaubte Musik aus der Jukebox wie eine Pusteblume kraftvoll ihre Bahn durch den musikalischen Asphalt der letzten Jahrzehnte.
Dieter Thomas Kuhn hatte Ende der 1990er Jahre seine Bühnenkarriere eigentlich für beendet erklärt. Doch die Fans wollten ihn nicht gehen lassen, so dass er 2004 sein Comeback feierte. Zum Glück, denn der Schlager – ja, betrachten wir ihn ruhig als deutsches Liedgut – ist viel zu schade, um vergessen oder von heutigen Hits übertönt zu werden. Kuhn macht letztendlich nichts anderes als ein Sinfonieorchester mit Beethoven und Brahms oder ein Chor mit Bach und Buxtehude: Er pflegt einen Teil des kulturellen Guts namens Musik. Darauf ein dreifaches Hossa!