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Singen, wo andere schweigen (müssen)

MAINZ (21. März 2021). Fast könnte man frei nach Asterix formulieren: „Wir befinden uns im Jahr 2021 n. Chr. Das ganze Konzertleben ist durch Corona verstummt. Das ganze Konzertleben? Nein! Eine von unbeugsamen Musikerinnen und Musikern bevölkerte Musica Sacra am Mainzer Dom hört nicht auf, sich der Pandemie entgegenzustemmen.“ Dort wurde nämlich unter der Leitung von Domkapellmeister Karsten Storck mit 13 Vokalisten und Instrumentalisten ein besonderes Kleinod der frühbarocken Passionsmusik gesungen und als vorproduziertes Konzertvideo/Videokonzert ins Netz gestellt: die Johannespassion von Alessandro Scarlatti (1660-1725).

Nicht nur die selten gespielte Musik, von der nur wenige CD-Aufnahmen existieren, ist etwas Besonderes – auch dieses Konzert war, nein ist es aus gleich mehreren Gründen: Zum einen kann man dem eigentlich auf Latein gesungenen Text auf Deutsch lauschen und somit der Handlung auch ohne Textheft problemlos folgen. Dann ist das Konzert [der entsprechende Link findet sich am Ende dieses Beitrags] dauerhaft im Internet abrufbar und dokumentiert somit zweierlei: die Kreativität der Verantwortlichen am Mainzer Dom sowie ihre Fähigkeit, auch und vor allen in Zeiten von Corona ein Konzert zu geben, das höchsten Ansprüchen genügt. Und: Es wird überhaupt etwas gemacht, es wird die (Sing-)Stimme erhoben, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und sich wie andere (eigentlich namhaftere) Akteure vor Ort hinter der Pandemie zu verstecken. Somit beweist gerade die Musica Sacra mit ihrem Domkapellmeister auch in schwierigsten Zeiten beispielhaftes Verantwortungsbewusstsein für das musikalische Leben in Mainz.

Scarlattis Johannespassion besteht in erster Linie aus dem instrumental begleiteten Gesang des Evangelisten. Diese Rolle übernimmt berührend und überzeugend Altus Christian Rohrbach, der im Dom 2019 bereits in Bachs h-Moll-Messe glänzte. Er singt erzählend und erzählt singend, samtweich begleitet von einem Continuo-Ensemble aus Orgel, Violoncello und Laute: Die klare Altstimme schmiegt sich wunderbar in die tragende Domakustik, strahlt hell und trägt locker über die 45 Minuten, die diese Johannespassion mit ihren Choreinwürfen dauert. Rohrbach singt so ergreifend – man ist nicht nur hingerissen, sondern regelrecht hineingerissen in diese eigentlich bekannte Geschichte. Die von Marc Jullein und Markus Brückner kundig umgesetzte Bildsprache mit ihrer eleganten Mischung aus harten Schnitten und weichen Überblendungen sorgt mit dafür, dass die Rolle des Solisten auch optisch nichts Statisches hat.

Neben den Instrumentalisten – Silke Volk und Stephanie Weimer-Meißen (Violine), Tilmann Lauterbach (Bratsche), Jawor Domischljarski (Violoncello), Thomas Dittmann (Kontrabass), Rudolf Merkel (Theorbe) und Torsten Mann (Truhenorgel) sowie Dirigent Karsten Storck am Cembalo – stellen vier Stimmen der Domkantorei als Vokalisten die bewusst kleingehaltene Besetzung. Sie singen die Turba-Stellen und übernehmen die Rollen der Soliloquenten: Anita Lehn (Sopran), Nicola Stauder (Alt), Markus Krieg (Tenor) und Johannes Both (Bass), der auch die anspruchsvolle Partie der Christusworte intoniert.

Hierfür vier Berufssänger zu verpflichten, die auch die allerletzte Note ohne Makel intonierten, wäre keine große (und höchstens eine finanzielle) Herausforderung: Diese Sängerinnen und Sänger aber stellen sich hin und singen, auch – dies wird im Abspann eigens erwähnt – stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen in der Domkantorei St. Martin, die in diesen Tagen leider schweigen müssen. Schon allein hierfür müsste man am Ende dieses Videos applaudieren! Nicht zuletzt diese vier Stimmen tragen dazu bei, dass Alessandro Scarlattis Johannespassion – das Video wurde an nur einem Tag produziert – zu einem Klangerlebnis wird, das man sich auch gut auf einer CD oder DVD vorstellen könnte.

Das Videokonzert ist hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=Sli1w3kBsI4

Ein Einführungstext zur Johannespassion von Alessandro Scarlatti findet sich hier: https://www.domchor-mainz.de/cms/index.php/dreiklang/246-passionskonzert-2021

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