Eine Oper im Messgewand?
MAINZ (13. November 2025). Ausverkauftes Haus: Der Dom war bis auf den letzten Platz besetzt – die Messe da Requiem von Guiseppe Verdi ist eben ein Werk mit höchster Anziehungskraft. Für das Domkonzert, das in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik (HfM) stattfand, hatten sich mit der Domkantorei und dem Hochschulchor zwei Vokalensemble zu einem stimmgewaltigen Gesamtchor zusammengetan. Unter der Leitung von Mihály Zeke, der den Hochschulchor einstudiert hatte (beim Domchor oblag dies Domkapellmeister Karsten Storck), musizierte zudem das von Wolfram Koloseus vorbereitete Hochschulorchester – eine Gemeinschaftsproduktion, die doch durch Einheit glänzte.
Dass die Solopartien von Juyoung Kang (Sopran), Hyemi Jung (Mezzosopran & Alumna) und David Jakob Schläger (Tenor) und damit von aktiven oder früheren Studierenden der Mainzer HfM gestaltet wurden, zeigte zudem, wie gut es um die Vokalmusik-Kultur in der Landeshauptstadt und speziell an der Johannes-Gutenberg-Universität bestellt ist. Die Basspartien gestaltete Taras Konoshchenko vom Staatstheater Nürnberg.
Ein riesiger Klangapparat, vokal wie instrumental – und doch gelang der Einstieg im „Requiem aeternam“ hauchdünn und wie aus dem Nichts entstehend, ätherisch und atmosphärisch. So wurde bereits mit den ersten Tönen die wesentliche Rolle des Chores als maßgeblicher Bestandteil der musikalischen Dramaturgie skizziert. Kontrastvoll tauchten die Register sowohl in die kraftvoll ausgesungenen als auch in die leisen, ja fast schon intimen Momente ein und loteten die Intensität mit beachtlicher Tiefe aus. Dabei gefielen Homogenität, Transparenz und technische Präzision, denn Verdis Requiem lebt vom Dialog zwischen den einzelnen Stimmen und dem Chor als kollektiver Einheit.
Zudem eint das Werk vokale und orchestrale Dimension der Musik auf intensive Weise. Das Hochschulorchester erwies sich dabei als sichere Bank und überzeugte sowohl in den gewaltigen, fast eruptiven Passagen mit muskulöser Wucht als auch in den ruhigen kontemplativen Momenten mit ansprechender Sensibilität. Es war mehr als beeindruckend, wie Zeke all diese Fäden aufnahm und zu einem stabilen und stets straff gespannten Seil drehte – ein Markenzeichen der gesamten Aufführung.
Im Solistenquartett waren es die beiden Frauenstimmen und der Tenor, die Maßstäbe setzten. Bei Juyoung Kang war eine strahlende Höhe zu goutieren, bei Hyemi Jung eine ansprechende Melange aus Wärme und kerniger Präsenz. David Jakob Schläger ist hörbar auch im Barockfach beheimatet, denn er verlieh seinen Partien eine schlanke Geradlinigkeit, die keine Kraftmeierei an den Tag legte, sondern ihre Energie stattdessen aus einem nur ganz leichten Vibrieren zog – aber eben kein Vibrato braucht(e)! Stattdessen erlebte das Publikum gerade hier stimmliche Klarheit, Brillanz in der Höhe sowie konturreiche Diktion – eine vielversprechende Stimmkultur.
Im Programmheft widerspricht Birger Petersen dem Begriff „Opern im Kirchengewand“, einst noch vor seiner Uraufführung als scharfe Kritik am Werk geäußert. Doch muss man diesen Begriff negativ auffassen? Verdis Requiem ist musikalisch wie stilistisch ein Akt der Transformation. Dadurch, dass sakrale Liturgie mit der Opernkunst des Komponisten zu einem einzigartigen, leidenschaftlichen und dramatischen Ausdruck verwoben werden, sucht die Musik das Totengedenken nicht in versteinerter Einkehr, sondern in einem spannungsgeladenen, fast opernhaften Dialog zwischen Leben und Tod, Erlösung und Verdammnis. Genau das dokumentierte diese Aufführung trefflich.


