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Warum in die Ferne schweifen?

MAINZ (5. Mai 2018). Ob Begeisterung für das Singen tatsächlich „nicht zuletzt durch TV-Castingshows“ geweckt wird, wie die Allgemeine Zeitung Mainz in ihrer an diesem Tag erschienenen Ausgabe zu wissen glaubt, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass das Feld der A-cappella-Musik, das einst von Gruppen wie den King’s Singers quasi in Monokultur beackert wurde, mittlerweile in viele kleine Parzellen aufgeteilt wurde, auf denen manch wunderbare vokale Frucht gedeiht.

In Mainz trafen sich nun zwei solcher Ensembles. Und zwar zwei junge: Enona gründete sich 2015 in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt unter anderem aus früheren Mitgliedern des Domchors, dem Vokalconsort Frankfurt oder dem Landesjugendchor Saar. Vokalexkursion ist ein Jahr älter und stammt aus Köln. Gemeinsam und eigenständig konzertierten sie jetzt in St. Ignaz ein höchst ansprechendes Konzert, das für die Gäste aus dem Rheinland gleichsam die Generalprobe für die Teilnahme am zehnten Deutschen Chorwettbewerb zwei Tage später in Freiburg war.

Beide Ensembles sind ausgesprochen gut: homogen besetzt und mit schönen Stimmen singen sie auf höchstem Niveau – Enona zu neunt, Vokalexkursion mit acht Sängerinnen und Sängern. Transparenz und reine Klangschönheit sind hier höchstes Gebot. Und neben dem wundervollen Gesang ist es schlicht und einfach die Tatsache, dass sich junge Menschen mit solch glühender Leidenschaft dem Singen verschrieben haben, die den Vokalmusik Liebenden glücklich macht.

Das Konzert mit einer pikanten Programmvielfalt, die vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht, beginnen Enona und Vokalexkurison gemeinsam mit Thomas Tallis‘ „If ye love me“ auf Verse aus dem Johannes-Evangelium. Es ist auch das Motto der Soiree, deren einzelne Liedbeiträge sich um die Liebe in all ihren Schattierungen drehen.

Anfangs bestreiten die Kölner ihren Part und begeistern mit der gleichsam zum Himmel aufsteigenden Melodik in „Hear my prayer, o Lord“ von Henry Purcell. Perfekt werden die vorwärts pulsierenden Modulationen intoniert und mit lang gezogenem Crescendo gesteigert, um in ein sattes Forte zu münden. Respekt auch für die Interpretation von „Lay a garland“ von Robert L. Pearsall. Der Sprung in die Gegenwart gelingt mit dem madrigalesken „O Tannenbaum“ von Johannes Grewelding (*1989) und dem wundervollen „The heart’s reflection“ von Daniel Elder (*1986), das lautmalerisch mit Dissonanzen spielt und dadurch das besungene „glänzend erstrahlende Ufer“ plastisch beschreibt. Der Gesang von Vokalexkursion atmet dabei eine unglaubliche Weite und strahlt tiefe Ruhe aus.

Nicht ganz so können die Gäste mit ihrer Auslegung von Felix Mendelssohn Bartholdys Psalm-Vertonung „Warum toben die Heiden?“ überzeugen, denn die hier verlangte Doppelchörigkeit braucht doch mehr Personal als die solistische Besetzung jedes Registers. Und wenn die Intonation auch nur leicht wackelt, hat das Auswirkungen auf den gesamten Klang. Hier klingt Vokalexkursion schlicht zu dünn, wohingegen „Denn er hat seinen Engeln“ gemeinsam mit Enona am Schluss traumhaft schön gelingt. Das ebenfalls zusammen gesungene „Kyrie“ aus der Cantus Missae, der einzigen doppelchörigen Komposition von Joseph G. Rheinberger, leitet elegant zum Konzertteil der Mainzer über.

Und die beherrschen ihr Handwerk genauso perfekt wie ihre Kölner Freunde: Rhythmik und ansprechend intonierte Melismen im isländischen Mariengesang von Bára Grímsdóttir (*1960) oder Sergei Rachmaninows sattsam bekanntes „Bogoróditse Dévo“ sind klangliche Erlebnisse, das flächige „Shenandoah“ in einem Arrangement von Thomas H. Jones (an dem aktuell offenbar kaum ein A-cappella-Ensemble vorbeikommt) ebenso. Textlich etwas befremdlich (aber schön gesungen!) wirkt „Run to you“ des US-amerikanischen Ensembles Pentatonix, dafür gefällt Ben Folds Liebeslied „The luckiest“ (arrangiert von Jim Clements) umso mehr. Letzter Programmpunkt von Enona ist eine originelle Adaption der „Vogelhochzeit“ von Fredo Jung (*1949) und mit die beste Darbietung des Abends: Hier werden sogar die Hochzeitsmärsche von Richard Wagner und Mendelssohn angestimmt und Volkslieder touchiert.

Das gemeinsame Konzert von Enona und Vokalexkursion zeigt nicht nur die Lebendigkeit der Szene, sondern führt einem vor Augen und Ohren, dass man gar nicht in die Ferne schweifen muss, wenn das Gute (und durchaus Professionelle) so nah liegt und singt. Am 8. September 2018 erfolgt der Gegenbesuch der Mainzer in Köln. Wer vor Ort ist, sollte sich um 19 Uhr in der Herz-Jesu-Kirche einfinden.

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