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Sehnsucht nach Frieden und mehr

MAINZ (13. Februar 2022). Eigentlich wollte man ja doppelchörige Motetten singen, doch Corona bedingte Ausfälle im Chor ließen Dirigent Matthias Klosinksi für das Gastspiel des von ihm gegründeten „Ensemble Horizons“ umplanen. Und so kam das Publikum in St. Bonifaz mit Motetten und Chorälen aus der Renaissance und dem 20. Jahrhundert in den Genuss des Programms „Ich sehne mich nach Deinem Frieden“. Der Wunsch, dass der Chor aus Tübingen hoffentlich bald wieder nach Mainz kommt, sei bereits jetzt geäußert.

Das Konzert beginnt und endet mit Johann Hermann Schein, von 1616 bis 1630 Thomaskantor in Leipzig: „Wende Dich, Herr, und sei mir gnädig“ sowie „Lehre uns bedenken“ aus der Sammlung „Israels Brünnlein“. Die beiden Stücke werden vom „Ensemble Horizons“ in ordentlicher Kammerchorgröße klangschön musiziert, auch wenn der Dirigent gerade hier etwas mehr Mut bei der agogischen Gestaltung an den Tag hätte legen können: Das Variieren der Tempi innerhalb der einzelnen Stücke würde diesen sicherlich eine noch größere Tiefe schenken.

Egal, denn das „Ensemble Horizons“ schenkt dem Zuhörer nicht nur eine Stunde vorzüglich gesungener Chormusik, sondern mit dieser viel mehr: einen kleinen Lichtblick in einer Zeit, in der Gesang schlechthin lange Zeit verstummt war. Und wenn man dann gleich einen so herausragenden Chor hören darf, möchte man das Gehörte nicht beckmesserisch filetieren, sondern es einfach nur genießen, wozu einem die Gäste aus Tübingen auch reichlich Gelegenheit bieten.

Da ist Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ – ein besonderes Erlebnis nicht nur, weil der seine Motette auf das auf den Tag genau vor 77 Jahren schwer zerstörte Dresden schrieb, sondern weil Matthias Klosinksi sich genügend Zeit für die Entwicklung und Wirkung der flächigen Klänge nimmt: Der Beginn gelingt unglaublich fahl und trostlos, in Quint- und Quartparallelen schreiten die Sänger durch die Trümmer der Stadt und nehmen den Zuhörer dabei an der Hand. Es ist vielleicht eine der innigsten Trauermotetten neuerer Zeit und dem „Ensemble Horizons“ gelingt eine ergreifende Interpretation. Als Mainz am 27. Februar 1945 von der britischen Luftwaffe bombardiert wurde, wurde auch der Konzertort St. Bonifaz vollständig zerstört.

Ein Jahr nach dem Neubau des Gotteshauses 1954 schrieb Augustin Kubizek seine Motette „Memento homo“, in der Männer- und Frauenstimmen erst parallel zueinander lateinische und deutsche Textzeilen intonieren, um sich schließlich mit rhythmischen Anrufen im gemeinsamen Gebet zu vereinen. Wie bei den Stücken von Heinrich Schütz und Hugo Distler sowie der packend plastisch umgesetzten Motette „Jesus und die Krämer“ von Zoltán Kodály überzeugt das „Ensemble Horizons“ auch hier mit einer geschmackvoll ausgewogenen und transparenten Besetzung aller Register.

Der Chorgesang erlebt eine – durch Corona leider wieder ausgebremste – Renaissance, die zu zahlreichen Neugründungen von vokalen Klangkörpern vom solistisch besetzten Ensemble bis zum Kammerchor reicht: Auch das „Ensemble Horizons“ existiert seit 2018 und präsentiert sich mit seiner Besetzung aus professionellen und semiprofessionellen Chorstimmen trotz pandemischer Aktivitätseinschränkungen als exquisiter Kammerchor mit anspruchsvollem Programm.

Dafür steht vor allem auch die als Zugabe musizierte Motette „Immortal Bach“ des norwegischen Komponisten Knut Nystedt: Aus der ersten Zeile des Bach-Chorals „Komm, süßer Tod“ aus Schemellis Gesangbuch (BWV 478) entwickeln sich einzig durch Tempo- und Klangverschiebungen faszinierende Cluster, die sich stets in einem tonalen Wohlklang auflösen. Nystedt hat hierfür übrigens keine Note selbst komponiert, sondern erschafft den zutiefst berührenden Klangkosmos einzig durch Anweisungen, Bachs Melodie variiert zu intonieren. Dass dies dem „Ensemble Horizons“ in der sicherlich ungewohnt ausladenden Akustik von St. Bonifaz derart überzeugend gelang, ist ein weiteres Indiz für dessen hohe Qualität.

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