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Barock, der unter die Haut geht

MAINZ (13. November 2015). Die Idee der Europäischen Union ist eine feine Sache – selbst wenn die Gemeinschaft derzeit in puncto Griechenland oder Flüchtlingskrise keine allzu gute Figur abgibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sehnte man sich nach einem geeinten Europa, einer Partnerschaft zwischen Stärkeren und Schwächeren, die Frieden und Wohlstand für alle sichern sollte.

Ungeachtet dessen, dass die gemeinsamen Ziele hin und wieder Risse bekommen – in einem Projekt des Staatenbundes wird stets die gleiche, allen verständliche Sprache gesprochen, harmonisch und beseelt, so dass die Adressaten begeistert Beifall spenden: Die Rede ist vom European Union Baroque Orchestra.

Hier musizieren junge Musiker aus verschiedenen europäischen Ländern. In der Region sind sie gern gehörter Gast, spielten zum Rheingau Musik Festival und gastieren regelmäßig bei der Philharmonie Merck in Darmstadt. In der jüngeren Vergangenheit war die Zukunft des Alte-Musik-Ensembles allerdings ungewiss: Gestoppte EU-Fördergelder ließen die Freunde des European Union Baroque Orchestra zittern. Doch die Klippe ist umschifft, auch dank Sponsoren und Partnern darf der 30 Jahre junge Klangkörper weiter an der Spitze mitspielen.

Einer dieser Partner ist – als einziger in Deutschland – die rheinland-pfälzische Landesstiftung Villa Musica, die die Musiker jetzt zum Auftakt der Reihe „Barock im Landesmuseum“ begrüßte. Unter der Leitung des Dänen Lars Ulrik Mortensen musizierten 19 junge Künstler Werke von Georg Muffat, Heinrich Ignaz Franz Biber, Alessandro Marcello und Georg Philipp Telemann. Doch das Programm wurde fast zur Nebensache: Ganz gleich, was dieses Ensemble interpretiert – alles wird zum fulminanten Erlebnis.

Dynamische Finesse, rhythmische Brillanz, Inspiration pur: Dirigent Mortensen sitzt am Cembalo und malt sein Dirigat gleichsam in die Luft, dass es Funken schlägt. Und die springen sofort auf die Musiker über: Spielfreude, Eleganz, satter Klang (ohne je behäbig zu wirken), organisches Musizieren, klangliches Atmen – dieser Barock geht nicht nur ins Ohr, sondern unter die Haut, ist tatsächlich körperlich zu spüren und hebt einen förmlich aus dem Stuhl. Eine Momentaufnahme zeigt die Cellistin Ester Domingo Sancho aus Spanien, die über Takte hinweg pausiert, bis ihr Einsatz kommt – wie die junge Künstlerin plötzlich strahlt, wie ihre Augen leuchten! Alte Musik pulsiert, wie man es kaum für möglich gehalten hat.

Aus der köstlichen Einheit stechen die Solisten hervor: die Finnin Aira Maria Lehtipuu (Barockvioline) und Tatjana Zimre aus Deutschland (Barockoboe), vor allem jedoch der Brite Paul Bosworth. Sein Spiel auf der Naturtrompete ist grandios, sein eloquent-kantabler Ton bestechend rein – dieses Instrument stellt allerhöchste Ansprüche, die Bosworth souverän erfüllt. Und darin spiegelt sich die Gesamtleistung des Ensembles gestochen scharf. Da capo!

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