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Applaus ist leider kein gültiges Zahlungsmittel

MAINZ (5. Mai 2020). Sie klang ergreifend, diese besondere Matthäuspassion, die in den sozialen Medien gepostet wurde: 45 Minuten Bach, musiziert von verschiedenen Künstlern unter anderem aus Mainz und dann für ein Online-Konzert zusammengeschnitten. Die Mitwirkenden genossen das Projekt, der Zuspruch war ermutigend. Doch auch wenn der Applaus als „Brot der Künstler“ bezeichnet wird: Sein Nährwert ist begrenzt und weder Supermärkte, noch Mieter und Versicherungen akzeptieren ihn als Zahlungsmittel.

Gerade in der Passionszeit haben Sängerinnen und Sänger in der Regel gut zu tun. Doch Konzerte gab es in diesem Jahr keine, die Einnahmen blieben aus: „Am 11. März ging es mit den Absagen los“, erzählt Christian Rathgeber. Zwei Tage später hatte er für Monate frei: Die anstehende Spanien-Tournee mit dem renommierten Balthasar-Neumann-Chor? Gecancelt. Konzerte unter anderem in der Elbphilharmonie stehen in Frage. Und abgesehen von einem Einspringen bei einer Matthäuspassion in Bukarest sang der freischaffende Tenor kein einziges Passionskonzert.

Die „Freizeit“, die er nun hat, ist teuer erkauft: Rund 20.000 Euro Konzerthonorare hätte er bis August einnehmen können – dank einiger Ausfallzahlungen, Spenden und staatlicher Förderung bekam Rathgeber davon knapp die Hälfte. Das reicht natürlich für eine gewisse Zeit. Doch was er der öffentlichen Hand vielleicht irgendwann zurückgeben muss, ist aktuell unklar: „Anders als in anderen Bundesländern rät man freischaffenden Künstlern in Rheinland-Pfalz, lieber gleich Arbeitslosengeld oder Hartz IV zu beantragen.“ Doch dem Tenor geht es in erster Linie gar nicht darum versorgt zu werden: „Ich will wieder singen.“

„Das Schlimmste ist die Ungewissheit“, sagt auch der gebürtige Mainzer Lukas Sieber. Der Cellist des Artis Quartetts ist wie seine Kollegen derzeit konzert- und damit arbeitslos. Alle leben normal von dem, was sie gemeinsam einspielen. Für Notfälle hat man Rücklagen gebildet, von denen man jetzt zehrt; doch auch die sind irgendwann verbraucht. Zwar kann man für die Zukunft Stücke einrichten und üben, doch trifft man sich hierfür immer bei einem zuhause, wo derzeit die Nachbarn rundherum ebenfalls öfters daheim sind. Und mit dem nötigen Sicherheitsabstand ist es dort auch schwierig: „Alles ist kompliziert geworden.“ Sieber weiß, dass er als freischaffender Musiker einen risikoreichen Beruf hat. Aber er weiß eben nicht, wann es weitergeht. Und wenn, wie: „Falls die Wirtschaft in eine Krise rutscht, wird als erstes an der Kultur gespart.“

Eigentlich sollte Johannes Herres Anfang April sein Debütkonzert als neuer Dirigent des Ensemble Vocale Mainz geben, doch auch das fiel Corona zum Opfer. Zwar hatte die erzwungene Pause für ihn nach seinem Doppelstudium und der Übernahme von Chorleitungen in Hechtsheim und beim Ensemble Vocale rückblickend durchaus auch positive, weil erholsame Aspekte, wie Herres einräumt. Doch das gemeinsame Musizieren fehle, das Erarbeitete liege brach. „Und vor allen den Chören fehlen die Einnahmen.“ Seine Ensembles hätten ihm erstmal eine Grundversorgung zugesagt und so versuche er eben, trotzdem irgendwie tätig zu werden, digitale Angebote wie Stimmproben und Einführungsmaterial zu schaffen, weiter zu planen und Dinge zu organisieren, für die im Alltag sonst eher wenig Zeit bleibt. Von der hat Herres schließlich genug, denn auch sein Alte-Musik-Ensemble „Les Cascades“, in dem er Blockflöte spielt, kann derzeit nicht auftreten.

Tatsächlich eines der letzten Konzerte in der Region dürften Johanna und Florian Rosskopp gesungen haben: Gemeinsam mit Pianistin Larissa Kurmatschewa trat das in Heidesheim wohnende Ehepaar am 14. März in der Saulheimer Sängerhalle auf. „Kann denn Liebe Sünde sein?“ hieß das Programm. Kurze Zeit später wurden bundesweit Kontaktverbote ausgesprochen. Immerhin rund 25 Zuhörer hatten noch den Mut, sich das Konzert anzuhören. Beide Rosskopps leiten in Normalzeiten auch Chöre: sie in Ober-Hilbersheim, er in Essenheim und Ober-Olm. „Natürlich wollen wir das irgendwann nachholen“, betont die Sopranistin im Hinblick auf weiter fließende Honorare. „Man kann auch mit Maske singen“, hat sie für den Fall der Fälle ausprobiert. Doch wie lange sich die Vereine so generös zeigen können, wissen beide nicht.

Während der Bariton derzeit den Hausmann gibt, unterrichtet seine Frau ihre Schüler an der Nieder-Olmer Musikschule online – so gut das eben geht: „Begleiten kann ich sie mit der eingesetzten Technik nicht und ganz solo zu singen ist für ein zwölfjähriges Mädchen schon was anderes.“ Ihre Studierenden an der Chorakademie des Mainzer UniChors trifft sie ebenfalls nur virtuell, ihre Privatschüler derzeit gar nicht. Auch hier fehlen Einnahmen: „Man überlegt sich aktuell schon, was man sich leisten kann und worauf man vielleicht mal verzichtet.“ Wohin es dieses Jahr für die vierköpfige Familie Rosskopp in den Urlaub geht, ist ungewiss. Und ob, eben auch.

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