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Sphärische Augenblicke

ALZEY (12. November 2023). Das „Vater unser“ ist das wohlbekannteste Gebet der Christenheit, geht es doch auf Jesus selbst zurück. Es ist in zwei Evangelien überliefert und Teil jedes Gottesdienstes. Auch Komponisten ließen sich von diesen Worten zu Werken inspirieren. Zwei dieser Vertonungen – von Franz Liszt und Felix Mendelssohn Bartholdy – erklangen jetzt im Gastkonzert des Frankfurter Kammerchors in der Nikolaikirche.

Unter der Leitung von Wolfgang Schäfer, der das Ensemble 2008 mit ehemaligen Studierenden der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Künste gründete, begann das Konzert mit Liszts 1864 komponiertem „Vater unser“ für vier- bis siebenstimmigen Chor und Orgel, die von Hartmut Müller gespielt wurde. Der Dirigent nahm sich Zeit, um den Klängen Raum zur Entfaltung zu geben. Dadurch erhielt der Chorgesang eine meditative Note, was von den 26 Sängerinnen und Sängern mit samtigen und butterzarten Einsätzen geschmackvoll ausgestaltet wurde.

Der Frankfurter Kammerchor stellte wunderbare dynamische Klangbögen in das Kirchenschiff der zwischen 2018 und 2020 sanierten und mit einem modernen Licht-Raum-Konzept ausgestatteten Nikolaikirche, wobei der Ton die Helligkeit und Weite der gotischen Kirche aufgriff und sich darin spiegelte. Die Intonation des in allen Registern homogen besetzten und dadurch auch im Tutti klangkonformen Chors war perfekt, Diktion und Dynamik sorgten für eine beeindruckende Transparenz. Liszt schrieb seine Gebetsvertonung für Chor und Orgel, wobei das Instrument zuweilen schweigt. Setzte die Orgel erneut ein, fügte sich der Chor passgenau in ihren Klang – feine Millimeterarbeit und das durchgehend.

Vor dem Hauptwerk des Abends, Antonin Dvořáks ebenfalls orgelbegleiteter D-Dur-Messe op. 86 für Chor und Soli, präsentierten sich die Vokalisten jeweils mit einem Sololied mit Orgel: Altistin Katharina Roß sang eine weitere „Vater unser“-Vertonung von Josef Gabriel Reinberger und Tenor Fabian Christen Felix Mendelssohn Bartholdys Nr. 2 aus Opus 112 „Der du die Menschen lässest sterben“ – beides grundsolide Leistungen, die jedoch von Lena Geigers strahlendem Sopran in Mendelssohns „Doch der Herr, er leitete die Irrenden recht“ (op. 112, Nr. 1) und vor allem von Anton Försters Bassbariton in Rheinbergers „Ich bin des Herrn“ (op. 157, Nr. 2) noch getoppt wurden.

Gerade die Stimme dieses Sängers ließ aufhorchen: Einen solch funkelnden Brillanzkern, eine derart elegante Linienführung und Wärme in der Höhe und Tiefe erleben zu dürfen, ist ein Geschenk. Und wenn man bedenkt, wie jung Förster noch ist, darf und kann man hier sicher Großartiges erwarten. Mit Geiger war er auch im Solistenquartett das klingende Juwel, wobei sich die vier Stimmen im Dvořák gegenüber dem großen Tutti zum delikat besetzten Miniaturchor formten.

In der D-Dur-Messe gefiel der Chor mit pulsierendem Jubel und glasklaren fugalen Einsätzen im „Gloria“ sowie kultiviertem Respons-Gesang im anschließendem „Credo“. Mit dem Glaubensbekenntnis kam neben dem „Vater unser“ vom Beginn hier die zweite textliturgische Säule des christlichen Gottesdienstes zum Klingen. Erneut überzeugte der Chor mit gesundem Ton sowie im „Benedictus“ mit hoher Pianokultur und trotzdem kerniger Klangsubstanz. Das „Dona nobis pacem“ im finalen Satz ergänzte das Konzert durch weitere sphärische Momente, wobei es sicher Zufall war, dass der Viertelstundenschlag kurz nach sieben ertönte, als der Schlussakkord des „Amen“ gerade verklungen war.

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