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Musik so leicht wie eine Feder

KIEDRICH – Die Begriffe Countertenor und Kiedrich ergeben nicht zwangsweise den Namen Andreas Scholl, auch wenn dieser musikalisch wohl eine der größten Berühmtheiten dieses Ortes ist. Nein, zu diesem Konzert im Rahmen des Rheingau Musik Festivals bewies Franz Vitzthum, dass auch andere Mütter Söhne mit wunderschönen Stimmen haben.

Das Programm trägt den schlichten Titel „Ach Gott“ und hat sich ihn vom gleichnamigen Lied aus der Feder von Joachim Hildebrand (1614-1684) geliehen, das fast den Schlusspunkt des zeitlichem Rahmens, den das Konzert aufriss, setzt. Den Anfang machen Stücke aus dem Codex St. Emmeran unter anderem von Jean Vaillant und Guillaume Dufay, die die Musik des 14. und 15. Jahrhunderts prägten. Ein schöner Zufall schlug hier eine musikalische Brücke zum Konzertort, der Kirche St. Valentinus in Kiedrich, stammen Teile dieses schmucken Gotteshauses doch ebenfalls aus dieser Zeit.

Franz Vitzthum und Julian Behr (Laute) weben an diesem Abend einen klangvollen Teppich mit Musik und Dichtung aus verschiedenen Epochen und Ländern. Das Gebet ist hier stets präsent, sei es in der Marienverehrung eines Gilles Binchois (1400-1474), im Pilgergesang John Dowlands (1562-1623), im ansprechend lyrisch vorgetragenen „Ardet cor meum“ von Giovanni Felice Sancez (1600-1679) oder im finalen „Pater noster“ eines Philipp Friedrich Boeddecker (1615-1683).

Franz Vitzthum singt jedes dieser Lieder federleicht und fernab aller Affektiertheit. Unglaublich schlank klingen die filigranen Linien bei optimaler Textverständlichkeit. Die Silben und Töne scheinen nur so in der Luft zu tänzeln, das gesungene Latein mutet wie gefühlvoll intoniertes Italienisch an. Die Weichheit der Melodien umfängt den Zuhörer und nimmt ihn gefangen. Ja, was macht er da eigentlich? Die Antwort fällt leicht: Außer singen nichts. Und damit alles richtig.

Franz Vitzthums Countertenor entbehrt im positivsten Sinne jeglicher Routine und klingt glasklar, ist in allen Schattierungen der Dynamik präsent und besticht sowohl im Pianissimo als auch im aufgewühlten Forte. Intensiv den Blickkontakt mit dem Publikum suchend strahlt der junge Sänger ins Publikum und damit eine Natürlichkeit aus, die dem Gehörten vollkommen entspricht. Dass solche Kunstfertigkeit auch harte Arbeit ist, kann man hier nur erahnen.

In dieser eleganten Schlichtheit spiegelt sich das Lautenspiel Julian Behrs, der ebenso einfach wie virtuos die Lieder, die Franz Vitzthum da anstimmt, begleitet. Schnörkellos und selbst in vitaleren Passagen eine wunderbare Ruhe ausstrahlend unterstreicht er das Gesungene. Und auch in den Soli, seien es im ersten Konzertteil die kleinen, eingestreuten Stückchen oder im zweiten Part die Partita (variate opra quest’aria francese detta l’Alemana) und Toccata (XII) von Alessandro Piccinini (1566-1638), mag man sich an diesem zurückhaltenden und dadurch umso wirkungsvollerem Lautenspiel gar nicht satt hören.

Im Übrigen wurde das Lied „Maria Zart“, dass der Countertenor an diesem Abend in einer Fassung von Arnolt Schlick (1460-1521) sang, in den Zeiten vor der Reformation, in denen eine leidenschaftliche Angst vor dem Jenseits herrschte, laut Geschichtsforschung mit einem Ablass von 40 Tagen Fegefeuer honoriert – wenn man es denn andächtig sang. Sollte dies zutreffen, dürfte der Fürst der Finsternis dereinst auf Franz Vitzthum warten, bis er schwarz wird…

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