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Barocker Tausendsassa

FRANKFURT (25. Juni 2017). Seinerzeit galt er als bester Musiker Deutschlands: Georg Philipp Telemann, geboren am 14. März 1681 in Magdeburg, gestorben am 25. Juni vor 250 Jahren in Hamburg. Die Nachwelt hat ihn als zuweilen oberflächlichen Vielschreiber missverstanden. Über 3.600 verzeichnete Werke stammen aus seiner Feder und zugegebenermaßen ist nicht alles von gleich hoher Qualität. Aber Telemanns Musik ist klug, witzig und von einem barocken Esprit, der grandios Funken schlagen kann, wenn ihm kluge und begeisterte Musiker nachspüren.

Über den Komponisten gibt es aktuell manches zu lesen und in Konzerten natürlich noch mehr zu hören. Wer mag, blättert in der spannenden Autobiografie oder den jüngsten Lebensbeschreibungen von Eckart Kleßmann (140 Seiten) sowie Siegbert Rampe (567 Seiten); doch kann es auch reizvoll sein, eine bestimmte Schaffensperiode zu betrachten: 1712 bis 1721 wirkte Telemann in Frankfurt.

Bevor er hier zum „Director Musices“ und Kapellmeister an der Barfüßerkirche berufen wird, ist er zehn Jahre zuvor mit nur 23 Jahren in Leipzig Operndirektor geworden und zuständig für das dortige Musikleben. Eigentlich sollte er hier ja Jura studieren, nur lernt er 1701 auf dem Weg dorthin in Halle einen gewissen Georg Friedrich Händel kennen. 1709 freundet er sich auch mit Johann Sebastian Bach an, dessen Sohn Carl Philipp Emanuel sein Patenkind wird. Statt Jurist wird Telemann lieber Musiker.

Kein Wunder: Der aus einer eher unmusischen Familie stammende, aber umso neugierigere Georg Philipp hatte früh Violine, Flöte und Zither gelernt, als Zehnjähriger den Kantor in der Singstunde vertreten und mit zwölf seine erste Oper vorgelegt. Ein Jahr später komponierte er Motetten für den Kirchenchor im niedersächsischen Zellerfeld, wohin ihn die besorgte Verwandtschaft geschickt hatte; man befürchtete, er werde (O-Ton Telemann) Gaukler, Seiltänzer, Spielmann oder Murmeltierführer. Doch der mit der Erziehung beauftragte Theologe Caspar Calvör liebte die Musik ebenso; in der Folgezeit brachte sich Telemann selbst das Spiel auf Klavier, Oboe, Traversflöte, Gambe, Kontrabass, Bassposaune und der Chalumeau, einer Frühform der Klarinette, bei.

Als er mit 31 Jahren schließlich nach Frankfurt kommt, ist er bereits ein musikalisch universell gebildeter Komponist und erfahren im französischen, italienischen und polnischen Stil. Am Main tritt er in die Dienste der „Gesellschaft Frauenstein“, einer der beiden Patrizier-Vereinigungen der 1712 rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt. Telemann ist Musikdirektor und unter anderem Vermögensverwalter sowie Wirtschafter der Gesellschaft Frauenstein und Ausrichter ihrer Tabakskollegien. Zu seinem Salär kommen Brennholz und Gewinnbeteiligungen beim Ausschank von Wein und Bier während der Frankfurter Messen. Rufe an den Hof von Gotha und, viel attraktiver, Weimar, schlägt er aus diversen Gründen aus – einer davon ist laut Autobiografie eine „winselnde Ehegattin“. Dass man ihn andernorts haben will, nutzt Telemann erfolgreich in Gehaltsverhandlungen und gehört in Frankfurt bald zu einem der Bestverdiener.

Wie in Leipzig steht der Komponist auch hier einem Collegium musicum vor, für das er sich gelegentlich Musiker der Darmstädter Hofkapelle leiht. Zum Beispiel als er 1716 in der Barfüßerkirche seine Passion auf Verse des Hamburger Dichters Barthold Hinrich Brockes aufführt: mit groß besetztem Orchester, Chor und 18 Vokalsolisten! Für wohltätige Zwecke verkauft Telemann hier erstmals Textbücher als Eintrittskarten – ein Vorbote seiner späteren regen Verlegertätigkeit.

Er musiziert, dirigiert, komponiert und ediert Kantaten wie Instrumentalwerke. Und reist, unter anderem nach Dresden, wo er etwas findet, was ihm zuhause fehlt: eine Oper. Die gibt es auch in Hamburg, wohin er 1721 wechselt. Das Frankfurter Bürgerrecht aber behält Telemann auf Lebenszeit und liefert dafür bis 1761 alle drei Jahre einen Jahrgang Kirchenkantaten. Die meisten davon schlummern in der Frankfurter Universitätsbibliothek und nur selten wird eine dieses allein 800 Werke umfassenden Schatzes wie jüngst in Hofheim ediert, abgeschrieben und aufgeführt. Es gibt also noch viel zu entdecken.

Konzerttipp
Genau an Telemanns Todestag, dem 25. Juni, findet in der Hofheimer Thomaskirche ein Kirchenkonzert der besonderen Art statt: es erklingen alle 433 Choralsätze aus dem von Telemann 1730 herausgegebenen „Fast allgemeinen evangelisch-musicalischen Liederbuch“ – auf der Orgel, gesungen und in verschiedenen Besetzungen gespielt. Der von 9 bis etwa 19 Uhr dauernde „Choral-Marathon“ ist als offenes Konzert gedacht; das Publikum kann kommen und gehen, wann es will. Es musizieren neben Thomaskantor Markus Stein die Thomaskantorei, Blechbläser und Flötenkreis, Studierende der Mainzer Hochschule für Musik, das Neumeyer Consort sowie Mitglieder von UniChor und UniOrchester Mainz.

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