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Vorsicht vor Nymphen!

ELTVILLE (24. Februar 2019). Natürlich kann man auch heute noch „nur“ mit einer bezaubernden Stimme und schönen Liedern Säle füllen, das Publikum begeistern. Doch in den Augen der Sängerin Elisabeth Scholl gehört mehr dazu: Für sie soll ein Konzert im besten Fall auch eine Geschichte erzählen, der Künstler sein Tun vermitteln können, der Zuhörer also einen Mehrwert über das Gehörte hinaus geschenkt bekommen. Das versucht die Gesangsprofessorin ihren Studierenden an der Hochschule für Musik Mainz über den richtigen Gebrauch der Stimme hinaus zu vermitteln.

Und hierfür hat sie hochschulintern den mit 1.000 Euro dotierten Heinz-Frankenbach-Preis initiiert, um auch an den Namensgeber zu erinnern: Der Eltviller Hotelier hatte ihr in jungen Jahren den historischen Ballsaal seines Hotels kostenlos für Konzerte zur Verfügung gestellt, wodurch Scholl auch abseits der großen Bühne kleine Formate austesten und entwickeln konnte. Hier nun fand das Finale statt, für das sich Lieselotte Fink und Hana Holodňáková (beide Sopran) sowie Changhoun Eo (Countertenor) und Nicolas Ries (Bass) qualifiziert hatten.

Die Aufgabe bestand im Vortrag eines am Cembalo begleiteten barocken Soloprogramms mit Arie, Rezitativ und Lied. Dazu sollten Thema und Konzept des etwa 25-minütigen Vortrags dem Publikum kommunikativ nähergebracht werden, wozu natürlich auch die Erstellung eines Programmhefts gehörte – eine vielfältige und spannende Aufgabe also, der sich die Künstlerinnen und Künstler auf verschiedene Art und Weise näherten.

Lieselotte Fink besingt die Liebe, „Streit der Geschlechter“ heißt ihr Sujet. Mittels eines Hutes wechselt sie zwischen Mann und Frau, eine pfiffige Idee. Auch der Vortrag der jungen Studentin ist ordentlich, doch die Moderation ist ihre Sache (noch) nicht: Zu statisch und gewollt kommen ihr die Sätze über die Lippen. Und während des Liedvortrags erinnert sie leider mitunter an eine Schaufensterpuppe, so nahezu unbeweglich steht sie vor dem Publikum. Aber genau dafür steht dieser Wettbewerb eben auch: Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln, ein Feedback zu bekommen. Der Applaus für Vivaldis Kantate „Pianti, sospiri e dimandar mercede“ oder „Music for al while“ von Purcell ist denn auch herzlich.

Ebenfalls von Christian Rohrbach begleitet wird Nicolas Ries. Sein Programm ist wie das Beiheft: farbig. Der Bass hat schon in vielen Projekten mitgewirkt, seine Stimme ist hörbar gereift. „Von Engeln und Göttern“ lautet die Überschrift seines Beitrags, der mit Plutones Rezitativ „Benché severo“ aus Monteverdis „L’Orfeo“ gleich in medias res geht. Auch Ries kann gesanglich überzeugen, die Tiefe, in die er volltönig hinabgleitet und -springt, ist durchaus beachtlich. Etwas beliebig wirkt hingegen die Werkauswahl, die Anmoderation zwischen „Lucifer, coelestis olim“ von Johann Baal und Händels Partie aus „La Ressurrezione“ geschieht mit zu großer Distanz zum Publikum. Auch hier ist also noch etwas Luft nach oben.

Wie man seine Zuhörer anstrahlt, beweist hingegen Hana Holodňáková. Die gebürtige Tschechin ist wettbewerbserprobt und damit klar im Vorteil – vielleicht ist dieser im Vergleich sogar etwas zu groß. Gleichviel: Die Sopranistin verschießt „Cupidos Pfeile“, so der Titel ihres Programms, mit großer Spannkraft und wohl dosiertem Vibrato. Doch genau hierüber wird sie am Schluss stolpern, singt sie doch schlicht und einfach zu laut: Dynamische Gestaltung sucht man fast vergebens und ist daher – Purcell, Vivaldi und Adam Krieger hin oder her – aufgrund der stimmlichen Überpräsenz bald nur noch unangenehm berührt. Wurde Holodňáková jüngst in einer Kritik lobend als Halogenscheinwerfer erwähnt, ist sie nun das blendende Xenonlicht, das im Rückspiegel heranrauscht – doch irgendwann ist auch dieses Überholmanöver vorbei. Dass man darüber nicht zu traurig ist, mag auch an der flüchtigen und mit hörbaren Fehlern belasteten Cembalo-Begleitung durch Martin Lutz liegen.

Bleibt Changhoun Eo, dessen Programmheft anfangs erschreckt: Die Monotype „Old English Text MT“ gehört auf den Index! Aber zum Glück schaut einen dieses shaun-artige Schaf so drollig auf dem Titel an – Eo hat es eigenhändig gezeichnet. Und auch die Geschichte, die er seinem Publikum erzählt, hat sich der Südkoreaner, der erst seit 2016 in Deutschland lebt und studiert, selbst ausgedacht: „Hans, der Schäfer“, liegt im Schatten eines Baumes und träumt von amourösen Abenteuern mit der Nymphe Clori – am Schluss bekommt er endlich den ersehnten Kuss, doch nicht vom Naturgeist, sondern von einem seiner Schafe (Daisy?)! Eos Erzählen ist hinreißend, seine (wiederum von Rohrbach begleitete) Interpretation der Telemann-Lieder „Der Schäfer“, „An eine Schläferin“, „Die Liebe“ und „Der Kuss“ sowie der Händel-Kantate „Ninfe e pastori“ äußerst ansprechend. Bewundernswert ist vor allem der Mut, mit der der Asiate sich seinem Publikum derart sympathisch in einer Fremdsprache präsentiert. Der Sieger der Herzen dürfte Eo auf jeden Fall sein.

Sieht das die Jury ebenso? Neben Elisabeth Scholl, Andreas Karasiak, Felix Koch und Markus Stein von der Hochschule für Musik in Mainz sind Peter Reidemeister als ehemaliger Leiter der Schola Cantorum Basiliensis, der Leipziger Thomaskantor Gotthold Schwarz sowie der Lautenist und Dirigent Konrad Junghänel mit von der Partie und küren Changhoun Eo zum Sieger des 1. Heinz-Frankenbach-Preises. Doch damit nicht genug: Auch das Auditorium entscheidet sich für den Südkoraner und gibt ihm den mit einem Notengutschein verbundenen Publikumspreis. Am Ende Applaus für alle Teilnehmer – und für die Veranstaltung als solche natürlich auch. Das Schlusswort hat eine Dame, die beim Rausgehen begeistert zu ihren Begleitern sagt: „Eine ganz tolle Sache!“

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