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Die sechs Reiter der „Akopalüze“

MAINZ – Helge Schneider passt beim besten Willen in keine Schublade, sondern sprengt jeglichen Rahmen mit der Urgewalt seines Talents: Mag man auch die Qualität seines Humors verkennen, ja verneinen, bleibt doch die ungeheure Musikalität. Wer beides genießen kann, erlebt aktuell das Armageddon des hehren Geistes und darf sich an einer organisierten Gehirnerschütterung ergötzen.

„Helge wurde am 30. August 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren. Deshalb wollte er zunächst Clown werden.“ Mit diesen Sätzen beginnt das, was Schneider im Internet als seine Biografie bezeichnet. Und sie sagen so viel aus über die nicht existenten und doch schrill ins Auge fallenden Kausalzusammenhänge seines Bühnenschaffens. Mindestens so viel wie der Titel seines aktuellen Programms, mit dem er jetzt in der Phönixhalle auftrat: „Akopalüze nau“.

Doch statt mit sieben Reitern kommt Helge wie gewohnt zu sechst: mit Bodo, dem Teekoch, den grandiosen Musikern Sandro Gianpetro (Gitarre, Gesang), Rudi Olbrich (Bass) und Pete York (Schlagzeug) sowie Sergé Gleithmann, optisch eine Mischung aus dem Eremit mit dem Schweigegelöbnis in Monty Pythons „Life of Brian“ und Arvo Pärt.

Schneider nennt sein Publikum „wunderbar“ und liest das Lob ostentativ ab. Er beginnt mit einem beherzten „Schüss“ und erklärt das vorgezogene Ende mit der Schnelllebigkeit der heutige Zeit. Teekoch Bodo wird als „Angehöriger einer niederen Kaste“ über die Bühne gescheucht: „Danke brauch‘ ich bei Angestellten ja nicht zu sagen.“ Dann ertönen Evergreens wie der „Telefonmann“ und „Hast Du eine Mutter, hast Du immer Butter“ sowie der Mythos von Herkules: „Er war verheiratet mit Fraukules.“

Wie mit dem Schrotgewehr ballert Schneider seine Pointen ins Publikum, erklärt die Erde und erweist sich, fast wie nebenbei, als genialer Musiker an Klavier, Trompete, Saxophon, Akkordeon und E-Gitarre, wobei er seinen Bandkollegen auch genügend Raum für tolle Soli gibt.

Helge Schneider ist ein Phänomen, denn oberflächlich betrachtet ja noch nicht mal oberflächlich. Und trotzdem reißt er seine Fans stets zu Begeisterungsstürmen hin – wobei es völlig egal zu sein scheint, was der Künstler auf der Rampe sagt, tut oder eben nicht. Dieser Minimalismus jedoch ist bestechend, zumal er nicht selten mit größtmöglichem Unfug Hand in Hand geht. Was wollte der kleine Helge noch mal werden? Clown!

Ist es da ein Zufall, dass Bodo die Jacke eines Zirkusdirektors trägt und Sergé als Kraftmaxe im Ringelleibchen auftritt? Helge trägt zwar nicht mehr die Clownsperücke der „I brake together“-Tour vom letzten Jahr, doch ein Schwall von aberwitzigen Wortspielereien und Wahnsinn mit gut gezielten akustischen Tortenwürfen tut es auch, denn das Publikum amüsiert sich begeisterten Kindern im Zirkusrund gleich.

Und wie auch nicht? Wenn Sergé Gleithmann im Strampelanzug mit Schlag und ausgestellten Ärmeln ausdrucksvoll wie auf glühenden Kohlen oder einem wilden Wiesel im Schritt tanzt und sich beim (von Teekoch Bodo vorgetragenen) „Katzeklo“ wie ein rolliger Kater am Bein des Sängers reibt, das „Fell“ pflegt oder eben seine Geschäftstätigkeit andeutet, dann zittert die Amplitude des Schwachsinns wohlig kitzelnd bis zum Anschlag.

Sollte die biblische Apokalypse des Johannes einst der „Akopalüze“ Helge Schneiders ähneln, werden sicherlich viele Menschen Höllenqualen erleiden. Der Rest darf sich schon mal darauf freuen…

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