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Unmittelbar ergreifend

KIEDRICH (25. August 2012). Schon lange vor Dosenpfand und Altpapier war das Thema Recycling hochaktuell – in der Barockzeit machte man sogar eine Kunst daraus und dabei nicht selten aus der Not auch eine Tugend: Johann Sebastian Bach beispielsweise hatte in regelmäßigen Abständen Kantaten zu liefern, wofür er zuweilen Partien aus früheren Werken kopierte.

Nicht anders ist sein „Opus magnum“ entstanden, die h-moll-Messe: Im Parodieverfahren bediente sich der Thomaskantor seines eigenen Œuvres und destillierte hieraus Sätze von allumfassender Klangschönheit und tonaler Opulenz, deren Unmittelbarkeit den Hörer wie kaum ein Werk dieser Epoche noch immer ergreift.

Ein Publikumsmagnet ist BWV 232 übrigens auch, mit dem das Rheingau Musik Festival in Kloster Eberbach ein Mal mehr für ein ausverkauftes Haus sorgen konnte – zu Recht, denn die Aufführung durch das Immortal Bach-Ensemble mit dem Le Concert Lorrain unter der umsichtigen Leitung von Morten Schuldt-Jensen geriet eine Woche vor dem Abschlusskonzert zu einem stilistischen Fanal barocker Prachtentfaltung, wobei Ort und Musik wieder zu einer faszinierenden Einheit verschmolzen.

Und auch die Werkauffassung schien sich an der Architektur der Basilika zu orientieren, denn hier herrschte die Schlichtheit vor: Anstatt ein vordergründiges Klangspektakel zu veranstalten, traten die Aufführenden fast schon ehrfurchtsvoll hinter die Musik zurück, wodurch sie ihr umso größere Kraft verliehen: Kein Sänger, kein Instrumentalist musste sich hier profilieren – es ging um das schlichte und dadurch umso gewissere Glaubensbekenntnis, das Lob Gottes, den Dank und die Fürbitte. Hier störte einzig der dramaturgische Fauxpas der Pause.

Ansonsten war man schnell in den Bann geschlagen: vom exzellenten Solistenquartett aus Trine Wisberg (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Thomas Hobbs (Tenor) und Jens Hamann (Bass) über die in allen Registern homogen präsente Allianz aus Chor und Orchester bis zu den herausragenden Instrumentalsolisten, von denen hier stellvertretend das virtuose Spiel von Swantje Hoffmann (Violine), der schwebende Ton von Patrick Beuckels (Traversflöte) und vor allem die faszinierend reine Intonation von Teunis van der Zwart (Naturhorn) genannt sein sollen.

An diesem Abend erlebte man Momente von überwältigender Majestät, als Dirigent Schuldt-Jensen im „Sanctus“ und „Osanna“ geradezu „himmlische Heerscharen“ anführte oder von atemberaubender Intimität während des „Agnus Dei“ Harmsens.

Das mit knapp 30 Stimmen schlank besetzte Immortal Bach Ensemble erwies sich als klanggewaltig und dabei doch stets transpatent und wendig. Genussvoll wurden hier die Koloraturen ausgesungen und selbst in den schnellen Sätzen des „Cum Sancto Spiritu“ und „Et resurrexit“ war die Durchhörbarkeit gegeben. Man merkte: Hier erschlossen die Interpreten diese Musik für den Moment und ließen das ihr Publikum imediat erleben – das tieftraurige „Crucifixus“, das transzendente „Et incarnatus est“ und die Schlussfuge des „Dona nobis pacem“ gingen schlichtweg zu Herzen.

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