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„Ein toller Komponist“

WÖRRSTADT (16. Oktober 2022). Wann hat eine Kantorei schon mal die Möglichkeit, mit einem professionellem Barockorchester zusammenzuarbeiten? Es wird zuvorderst an den Finanzen scheitern. Insofern war die Zusammenarbeit der von Peter Meyer geleiteten Wörrstädter Kantorei und dem Neumeyer Consort von Felix Koch, dem Künstlerischen Leiter der Internationalen Musiktage Wörrstädter Land, durchaus ein Glücksgriff. Der konnte nämlich auch noch seinen Kollegen, den Cellisten Manuel Fischer-Dieskau gewinnen, wie Koch Professor an der Hochschule für Musik (HfM) Mainz, so dass die Besetzung gemeinsam mit den Solistinnen Emilie Christine Jønsson (Sopran) und Ellenmarie Rasmussen (Alt) Klasse und internationales Flair gleichermaßen atmete.

Vier Werke standen im dritten Konzert der diesjährigen Musiktage Wörrstädter Land in der Evangelischen Laurentiuskirche auf dem Programm: mit dem Magnificat RV 160 sowie dem D-Dur-Gloria RV 589 von Antonio Vivaldi zwei großartige Chorwerke, bei denen sich Anspruch und Machbarkeit für einen Laienchor gefällig die Waage halten, sowie mit Vivaldis g-Moll-Doppelkonzert für zwei Violoncelli, Streicher und Basso continuo RV 531 und dem A-Dur-Konzert für Violoncello solo Wq 172 von Carl Philipp Emaneul Bach zwei Instrumentalwerke, die den Virtuosen kitzeln.

Das Doppelkonzert fungierte dabei geschmackvoll als Entrée, wobei man die wunderbare Gelegenheit hatte, zwei Solisten zu erleben, die sich sozusagen gemeinsam zu übertrumpfen versuchten. Die Dialoge zwischen Fischer-Dieskau und Koch auf der einen und dem Orchester auf der anderen Seite wurden so lebendig gestaltet, dass die Crescendi im Allegro des ersten Satzes einen mit steifer Brise anzuwehen schienen. Wunderbar sanglich gestalteten die beiden Solisten, die man eher als Duett begreifen durfte, das Largo, wobei die Modulationen so gediegen glatt gerieten, dass sie an die spiegelnde Fläche frisch aufgelesener Kastanien erinnerten. Sagt man eigentlich eher der Gambe nach, sie würde am besten die menschliche Stimme imitieren, zeigten die Solisten hier, dass auch das Violoncello durchaus dazu in der Lage ist. Im finalen Allegro trumpfte das Tutti dann mit bizarren Intervallsprüngen und pulsierendem Basso continuo auf.

„Ein toller Komponist“, meinte Felix Koch in seinen pointierten, kurzen Anmoderationen später – das erste Stück war hierfür ebenso Beweis wie das folgende Magnificat Vivaldis. Die in angenehmer Kammerchorstärke auftretende Wörrstädter Kantorei gefiel vor allem mit einem ausgewogenen Sopran, doch auch die anderen Register waren spürbar vom Zusammenspiel mit dem Neumeyer Consort begeistert, was sich unmittelbar im Tuttiklang widerspiegelte. Mag die eine oder andere Stelle intonatorisch noch Luft nach oben geboten haben: Insgesamt lieferte der Chor ansprechend ab und gefiel sowohl in den reinen Ensemblestücken als auch mit den Solistinnen. Der Sopran Emilie Christine Jønssons war dabei so strahlend wie die gewinnende Mimik der Sängerin, die wie ihre Kollegin Ellenmarie Rasmussen an der HfM Mainz Gesang studiert. Beide sind Gewinnerinnen des diesjährigen Heinz-Frankenbach-Preises und schlugen auch in Wörrstadt das Publikum in ihren Bann – in Vivaldis Gloria vielleicht noch mehr als im Magnificat.

Vor dem großen Finale durfte das Publikum noch einmal Manuel Fischer-Dieskau in Carl Philipp Emanuel Bachs A-Dur-Konzert erleben. Das Werk atmet hörbar den Übergang vom Spätbarock zur Frühklassik: chromatische Wendungen und dynamische Hoppla-Effekte im ersten Satz, tänzerisches Anziehen des Tempos im dritten. Vor allem das Largo con sordini des Mittelteils geriet als expressive Klage-Arie, begleitet von den beiden unisono spielenden Gruppen der hohen und tiefen Streicher. Bevor das quasi auferstandene Allegro assai klassischen Esprit atmete, hörte man eine kurze Solokadenz, die in ihrer Direktheit durchaus an Marin Marais oder Monsieur Sainte-Colombe erinnerte – ein bewegender Moment.

Dann, endlich: Vivaldis Gloria. Dieses Werk schenkt dem Zuhörer – dem Magnificat Johann Sebastian Bachs ähnlich – barocken Glanz in komprimierter Form: Kurze, doch grandiose Stücke fordern Chor, Solisten und Orchester gleichermaßen. Auch hier überzeugten die erneut von Peter Meyer dirigierte Wörrstädter Kantorei und das Neumeyer Consort, vor allem jedoch die Solistinnen. Gerade die Knappheit der Sätze – das wunderbare, von der Solo-Oboe (Charlotte Schmidt-Berger) begleitete „Domine Deus, Rex coelestis“ des Soprans und das „Domine Deus, Agnus Dei“ des Alt mir Chor und Violoncello (Felix Koch) – boten den jungen Sängerinnen die Möglichkeit, folgenden Wunsch zu wecken: Mehr davon!

Der begeisterte Applaus am Schluss galt natürlich allen. Und auch, wenn Emilie Christine Jønsson und Ellenmarie Rasmussen ihn gleichermaßen verdient haben, war es doch die Stimme des Alt, die einen besonders fesselte: dieser knabenhafte Ton, diese Geradlinigkeit, mit der sich die Stimme so kompromisslos in den Dienst der Musik stellt und jegliche persönliche Profilierung hintanstellt, die Bandbreite vom in der Tiefe präsenten Alt bis zum Mezzosopran, eine angenehme Kühle, die zeigt, dass man nicht laut sein muss, um Kraft zu demonstrieren. Laut Festivalleiter Felix Koch möchte der Internationale Musiksommer Wörrstädter Land die Hochkultur in den ruralen Raum bringen – gerade mit diesem Konzert und seinen Kooperationen wurde diese Idee vorbildlich realisiert. Auch hier gilt: Mehr davon!

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