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Was Köche und Musiker gemeinsam haben

MAINZ (1. Mai 2023). Kit Armstrong ist als Artist in Residence des Fränkischen Sommers 2023 gleich mehrfach zu erleben: mit den King’s Singers am 30. Juli in der Hugenottenkirche Erlangen, mit dem Jazzpianisten Michael Wollny am 18. August in der Kulturfabrik Roth, in Verbindung von Kunst und Kulinarik am 19. August im Gasthof Gentner in Gnotzheim und schließlich in den beiden Abschlusskonzerten mit der Geigerin Franziska Hölscher und dem Ensemble Resonanz am 26. August in der Schwabacher Stadtkirche und einen Tag später in der Rothenburger Reichsstadthalle. Im Interview erzählt der Pianist über die Ideen hinter den verschiedenen Programmen:

Herr Armstrong, Ihr erstes Konzert ist dem vor 400 Jahren verstorbenen Komponisten William Byrd gewidmet. Was fasziniert Sie an diesem Meister und seiner Musik?

Ich lernte seine Musik kennen, als ich in England lebte. Das hat allerdings nichts mit der dortigen Chortradition zu tun, an der ich nicht teilnahm, weil ich leider noch nie singen konnte. Diesen Komponisten aus der elisabethanischen Zeit zu begegnen war für mich wirklich ein Schlüsselerlebnis, denn sie sind die ersten, die eigenständige Musik für Tasteninstrumente schrieben – es ist also der Ursprung der Klaviermusik und gleichzeitig der erste große Höhepunkt. Die Musik von Byrd und seinen Zeitgenossen hat mein Verhältnis zur Musik verändert: Zu erfahren, dass diese wunderbare polyphone, kontrapunktische und unglaublich ausdrucksvolle Musik unter meinen Händen erklingen konnte, gab einen ersten großen Impuls, mich dieser Musik zu widmen. Das ist jetzt rund 20 Jahre her und mittlerweile gehört die Klaviermusik von William Byrd und anderen seiner Zeit zum festen Bestandteil meines pianistischen Repertoires. Ich spiele diese Musik auch sehr gerne auf der Orgel, wobei eine moderne Orgel noch weniger mit den Instrumenten jener Zeit gemein hat als ein Konzertflügel.

Gerade der ist ja das Instrument, auf dem sie ganz bewusst auch barocke Musik spielen. Kann man hier die Vielschichtigkeit der Kompositionen vielleicht sogar besser, sprich mehrdimensionaler abbilden als auf einem Cembalo?

Mein persönliches Empfinden ist, dass man die Tastenmusik aus Byrds Umfeld zu einer überzeugenden Musik für Konzertflügel machen kann, indem man sie eins zu eins überträgt. Andererseits wendet man automatisch gewisse Techniken an, wenn man sie auf einem Cembalo spielt. Dabei muss man sich bewusst sein, dass das eben nicht die Spielweise ist, wie sie zur Zeit Byrds gängig war. So erscheint es uns heute selbstverständlich, auf einem Cembalo Akkorde zu brechen, Noten zu verkürzen oder bestimmte Verzierungen zu spielen. Aber das kommt eigentlich alles eher aus der Barockmusik. Byrds Musik stammt jedoch aus einer Zeit davor, vor dem größten Einschnitt in der Musikgeschichte überhaupt.

Sie meinen die „Seconda Pratica“ eines Claudio Monteverdi, also jene Form der Komposition, die von der Polyphonie der Renaissance abwich und damit in der Vokalmusik eine höhere Textverständlichkeit erreichen wollte?

Das hängt in der Tat mit dieser Bewegung zusammen. Die neuen Praxen, die dadurch hervorgerufen wurden, sind diejenigen, die unsere Schulung und Ästhetik prägen, wenn wir heute auf alten Instrumenten spielen. Ungeachtet aller Authentizitätsüberlegungen bin ich auch davon überzeugt, wenn ich die Werke von William Byrd auf einem modernen Konzertflügel spiele, dass diese Musik von der Klangwelt gerade dieses Instruments profitiert. Ihre Struktur kann auf eine klangschöne Art und Weise veranschaulicht werden, und Ihre mannigfaltigen Charaktere lassen sich lebendig wiedergeben.

In einem Konzert werden dem Jazz-Pianisten Michael Wollny über „Ikonen der Klassik- und Jazzliteratur“ improvisieren. Auch in der Barockmusik wurde ja viel improvisiert, wenn man nur mal an die Kunst der musikalischen Verzierung denkt. Worin liegt für Sie der Reiz dieser Art der Improvisation?

Seit Anbeginn der Musik bildet das Improvisieren die Basis. Selbst das Komponieren ist sehr oft im Wesentlichen ein Improvisieren am Schreibtisch. Daher ist es doch eine recht seltsame Erscheinung der klassischen Musik, dass den aufführenden Musikern diese Kunst enteignet wurde und heute fast nur noch nach Noten gespielt wird. Dafür wurde der Mensch nicht geschaffen: Wir sprechen frei, wir bewegen uns frei – und wenn wir uns an ein Instrument setzen, sollten wir auch ganz natürlich das spielen, was uns in dem Moment in den Sinn kommt. Stellen wir doch mal die Frage umgekehrt: Worin liegt der Reiz, zu musizieren ohne improvisieren zu können?

Und wie würden Sie diese Frage beantworten?

Dieser Reiz existiert eben nicht – zumindest ist das meine persönliche Ansicht. Das Musizieren war immer eine kreative Tat. Wir sollten das Improvisieren wieder viel mehr in die heutige Musikpraxis einführen. Nehmen Sie doch nur mal sinfonische Solokonzerte mit Orchester, in denen der Solist eine Kadenz zu spielen hat: Die meisten klassischen Komponisten hätten es für abwegig zu halten, Kadenzen auszukomponieren, und noch mehr, dies im ursprünglichen, eigenen Stil zu tun. Denn die Kadenz innerhalb eines Klavierkonzerts ist eben die Stelle, an der der Pianist sein eigenes Bild innerhalb eines größeren Rahmens malt – eine kleine, aber eben eigene Komposition innerhalb der größeren vorgegebenen. Mit dem Titel „Ikonen der Klassik- und Jazzliteratur“ wollen Michael Wollny und ich den Akzent darauf setzen, dass Musikinterpretation und -aufführung in beiden Stilen nicht nur eine reine Wiedergabe ist.

Ein weiteres Konzert des Fränkischen Sommers vereint Ihre Liebe zur Musik mit der zum Kochen. Wo gibt es hier denn Überschneidungen und wie wird das Publikum diese im Konzert erleben?

Wir leben in einer Zeit, wo die meisten Konzertbesucher nicht mit der Partitur ins Konzert kommen. Das sage ich ganz wertfrei, es ist eben einfach eine andere Wahrnehmung: Wir gehen nicht ins Konzert, um unsere Kenntnisse vertrauter Musik aufzufrischen, sondern um aus einer unbefangenen Perspektive etwas Schönes zu erleben. Dieser Aufgabe möchte ich als Pianist nachkommen: Wenn ich Musik mache, habe ich gegenüber den Menschen, für die ich spiele, eine Verantwortung. Genau das empfinde ich auch beim Kochen: Ich koche nicht für den Verfasser des Rezeptes, sondern für diejenigen, die dieses Gericht genießen wollen. An diese Parallele denke ich oft, wenn ich Musik fremder Komponisten spiele: Die wollten zuallererst damit Menschen ansprechen. So stelle ich am Klavier, an der Orgel oder am Dirigierpult mit Klängen, Zeit und Raum sozusagen ein Gericht zusammen, das den Zuhörern dann hoffentlich schmeckt.

Für den Fränkischen Sommer werden Sie auch eigens ein Stück komponieren, das in den letzten beiden Konzerten erklingen wird. Auf welche Musik darf man hier gespannt sein?

Es fällt einem eigentlich immer schwer, sein eigenes Werk zu beschreiben: Zum einen kennt man es zu gut und hofft, dass man irgendwann nicht mehr der Einzige ist, der es kennt und spielt, denn dann hat es seinen Weg in das Musikleben gefunden und sich behauptet. Meine Musik versucht, einige wichtige ästhetische Aspekte meiner persönlichen Einstellungen und Überzeugungen widerzuspiegeln: Ich bin ein positiv denkender Mensch und glaube an die Zukunft, an ein Leben in, mit und durch Schönheit. Die klassische Musik ist für mich eine wunderbare und ziemlich einzigartige Möglichkeit, die Vergangenheit in einem gewissen Maße zu verklären.

Was ein Historiker verständlicherweise ablehnen würde …

… darf ich als Musiker machen: eben nur das Schöne sehen. Die großen Werke der Klassik und damit ja der Vergangenheit sprechen uns deshalb so sehr an, weil sie das zulassen. Von der Offenheit, die bei uns heute verschiedenen Kulturen und ästhetischen Anschauungen gegenüber herrscht, ob sie von uns ein zeitlicher oder ein räumlicher Abstand trennt, soll auch meine Musik leben. Ich schreibe keine Musik, um einen Fokus auf die Probleme dieser Welt zu richten. Das machen viele und das ist sicherlich auch legitim und ein wichtiger Beitrag zur Gegenwartsbewältigung. Sir Edward Elgar hat zu seiner ersten Sinfonie gesagt: „Hier gibt es kein Programm außer einer breiten Erfahrung menschlichen Lebens mit großer Gutwilligkeit, Liebe und Hoffnung in der Zukunft.“ Genau dieser Optimismus leitet auch mich.

Informationen zum Musikfestival Fränkischer Sommer 2023 und die Möglichkeit zum Ticketerwerb gibt es unter https://www.fraenkischer-sommer.de/.

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