Liedpianist Irwin Gage ist kein Begleiter: Konzert in Mainz nach Kurs für junge Duos auf Schloss Engers
MAINZ – „Bin ich zu laut?“ ist der Titel eines Buches von Gerald Moore, dem prominenten Pianisten bei Liederabenden und langjährigen Partner von Dietrich Fischer-Dieskau. Vielleicht hat der nicht minder legendäre Musiker Irwin Gage in gleicher Funktion diese Frage auch schon einmal gestellt. Aber mit dem Untertitel des Buches, nämlich „Erinnerungen eines Begleiters“, dürfte sich Gage nicht identifizieren: „Einen Begleiter gibt es nur auf Reisen“, stellt er klar: „Ich bin ein Liedpianist.“
Um sechzehn jungen Musikerinnen und Musikern eben diesen Unterschied zu erläutern, arbeitete der berühmte Kollege mit acht Duos, die er im Vorfeld gemeinsam mit der Mainzer Gesangs-Professorin Claudia Eder zuvor aus 37 ausgewählt hatte, intensiv auf Schloss Engers und präsentierte das hörenswerte Ergebnis jetzt unter anderem mit einem Konzert in der Villa Musica.
Das dargebotene Programm war mit Liedern von Schubert, Brahms und Schönberg äußerst anspruchsvoll und vielschichtig – wie auch die Aufgaben, die einem Liedbegleiter zukommen. Im Gegensatz zum virtuosen Solisten, der laut Gage Noten spielt, hat der Liedpianist vielmehr Worte in Klang zu fassen: „Er spielt das, was der Sänger nicht singt.“
Und tatsächlich: Noch bevor Bariton Micah Kessel Schuberts „Kriegers Ahnung“ (D 959,2) anstimmt, verbreitet der „Begleiter“ Erwin Weerstra am Klavier die für die Wirkung des Liedes unerlässliche düstere Stimmung. Gleiches gelingt der Pianistin Asami Koshida, wenn sie bei Brahms die von Alexandra Paulmichl mit voluminösem und anmutendem Alt vorgetragene Zeile „Und alles schwankt ins Ungewisse“ aus Goethes „Dämmrung senkte sich von oben“ mit rhythmischen Modulationen umwebt.
Die Zeit mit den jungen Schülern auf Schloss Engers gehört für Irwin Gage „zum Schönsten, was ich je gemacht habe“, unterstrich der berühmte Liedpianist im Pausengespräch. Dort habe man sehr aufeinander konzentriert arbeiten können und somit „unglaublich viel“ erreicht.
Allerdings sei es auch bedrückend, wie wenig deutsche Sänger von den romantischen Texten verstünden, merkte Gage an. Denn zum Kursinhalt gehörten nicht nur Hinweise für den „Begleiter“, sich klanglich in die Psychologie des Textes einzufühlen, den Stil der Zeit zu treffen und dem Gesungenen die rechte Farbe zu verleihen, sondern auch solche für den Gesangssolisten, die harmonischen Bewegungen des Pianisten zu deuten.
Kursteilnehmer
Acht Duos unterrichtete Irwin Gage auf Schloss Engers: Olivia Vermeulen (Mezzosopran) und Liana Vlad, Alexandra Paulmichl (Alt) und Asami Koshida, Micah Kessel (Bariton) und Erwin Weerstra, Helen Rohrbach (Sopran) und Christian Rohrbach, Philip Carmichael (Bariton) und Anette Fischer-Lichdi, Marian Dijkhuizen (Mezzosopran) und Wies van de Poel, Tomasz Wija (Bariton) und David Santos sowie Daniel Witte (Tenor) und Tim Stolte.