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Eine Idee mit großem Erfolg umgesetzt

MAINZ (25. Juni 2012). Als Joshard Daus sich 1985 um die Stelle als Leiter des an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität seit 1964 bestehenden Collegium musicum bewarb, hatte er eine Vision – und setzte sich gegen 250 Interessenten aus der ganzen Welt durch: Er wollte junge Menschen für die Musik begeistern und gemeinsam ein hohes Niveau erreichen.

Heute, 27 Jahre später, steuert er auf sein letztes Konzert in dieser Funktion zu: Am 8. Juli 2012 wird Daus zum letzten Mal das Collegium musicum dirigieren, wenn um 18 Uhr in der Rheingoldhalle neben der Hymne für Solo-Sopran „Hör mein Bitten“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy dessen Sinfonie Nr. 2 in B-Dur op.52 zur Aufführung gelangt. Letztere trägt übrigens den Beinamen „Lobgesang“, da der Komponist unter anderem den Choral „Nun danket alle Gott“ eingearbeitet hat.

Dankbarkeit verspürt Prof. Daus ebenfalls und zählt die Adressaten gerne auf: allen voran die vielen Studierenden, die über die Jahre die Arbeit des Mainzer Collegium musicum getragen hätten; dann die Universitätsleitung, die dieses Wirken stets wohlwollend unterstützt habe; dem Publikum, das sich für die vielen Konzerte nicht nur vor Ort interessierte; einem engagierten Mitarbeiterstab und nicht zuletzt den Gönnern und Sponsoren, wobei Daus gerne einen Namen nennt: Wolfgang Fürst zu Ysenburg und Büdingen, dessen Vorfahr Diether von Isenburg 1476 die Mainzer Universität gründete.

Fast 500 Jahre später hob man hier das heutige Collegium musicum aus der Taufe: Interessierten Studenten außerhalb des Fachbereichs Musik, der heutigen Hochschule, soll seit jeher die Möglichkeit gegeben werden, Chor- und Orchesterliteratur zu erarbeiten und im Konzert anspruchsvoll zu präsentieren. Als Professor in Mainz prägte Daus diese Arbeit und entwickelte sie weiter.

Verdis Requiem, Orffs „Carmina burana“, Händels „Messias“, Mendelssohns „Elias“, Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“ sowie Sinfonien von Haydn oder Beethoven sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem in 27 Jahren unter Daus‘ Leitung aufgeführten Repertoire. Hinzu kamen Gastdirigate namhafter Dirigenten, allen voran Bachs h-moll-Messe unter Maestro Sergiu Celibidache.

Aus dem Collegium musicum heraus, das in dieser Form laut Daus in der deutschen Hochschullandschaft einzigartig ist, entwickelte sich in den 90er Jahren zuerst das Bach-Ensemble, ein Auswahlchor hochqualifizierter Laien aus ganz Deutschland, das dann in die EuropaChorAkademie mit Sitz in Bremen mündete. Hier arbeiten heute Musiker aus 25 Nationen zusammen.

In enger Kooperation mit dieser Einrichtung, die sich weltweit rasch einen exzellenten Namen erarbeitete, wird in Mainz aktuell – „Und auch in Zukunft“, wie Daus betont – fakultätsübergreifend für Studierende der Johannes-Gutenberg-Universität eine Chorsängerausbildung angeboten, deren Ziel es ist, chorisch begabten Sängerinnen und Sängern die Mitwirkung in professionellen und semiprofessionellen Chören zu ermöglichen.

„Die Idee hierzu hatte schon vor vielen Jahren Jürgen Jürgens in Hamburg“, sagt Daus, der diese dann in Mainz mit großem Erfolg ebenfalls realisierte: hochambitionierten Menschen, die in ihrer Jugend bereits musikalisch vor- und ausgebildet wurden und dann aber einen anderen beruflichen Weg einschlagen würden, ein künstlerisches Betätigungsfeld zu bieten. „Dies ist ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor, denn gerade in den Entscheidungspositionen sitzen oft musikalisch äußerst interessierte und gebildete Menschen, die hier auch die Kultur fördern.“

Seine Emeritierung in Mainz eröffnet Daus dabei die Möglichkeit, das Engagement als Künstlerischer Leiter der EuropaChorAkademie in Bremen weiter zu intensivieren. Hier will er im eigenen Haus eine Chorkultur mit Jugendarbeit in den Stadtteilen, Kompositionsaufträgen und Festivals ins Leben rufen. In Mainz hingegen wird er die Kooperation mit der Universität weiterführen und die etablierten Schulprojektarbeit sowie die Chorsängerausbildung begleiten: „Als beidseitig gewünschte Fortsetzung“, freut sich Joshard Daus auf die kommenden Jahre.

Im Gespräch

Seit 1985 leitet Joshard Daus, bis Ende des Sommersemesters Professor an der Mainzer Hochschule für Musik, das Collegium musicum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Chor und Orchester, die sich an den begeisterten Laien wenden, der sich neben seinem Studium künstlerisch auf hohem Niveau engagieren möchte. Auch nach der Emeritierung von Daus soll das Erfolgsmodell vor Ort weitergeführt werden. Der Dirigent selbst wird es exportieren: nach China, wo er bereits eine Gastprofessur am Konservatorium in Xi’an innehat.

Frage: Herr Prof. Daus, China bringt man nicht sofort mit Bach und Mozart in Verbindung. Sie schon?

Joshard Daus: Seit langem bewundere ich das Land mit seiner unglaublichen auch kulturellen Tradition auf allen Gebieten. Diese Tradition wurde durch die kulturelle Revolution zwischen 1966 und 1976 allerdings vernichtet. Seit sechs Jahren bereise ich dieses Land, besuche Universtäten, Orchester und Festivals und sehe, wie schwer es ist, hier wieder Neugier und Verständnis für kulturelle Belange zu wecken. Die jungen Menschen lassen sich eher vom Turbokapitalismus begeistern und denken unheimlich materialistisch. Aber seit zwei Jahren ist im politischen Manifest der Partei auch wieder der Begriff Kultur verankert. Man hat also erkannt, dass sich eine Gesellschaft ohne Werte einseitig entwickelt.

Frage: Das Interesse an Kultur wächst dort also?

Joshard Daus: Gerade junge Menschen, die in Europa ausgebildet werden, sehnen sich nach unserer Kultur. Und das ist doch kurios, denn wir selbst nehmen ihren Wert oft gar nicht richtig wahr: Europa definiert sich in erster Linie durch Wirtschaft und den Euro. Aber gerade in China, an den jungen Universitäten gibt es eine große Wertschätzung unserer Kultur – und unserer Musik: Hier hängen Büsten von Bach und Mozart! Bedenken Sie, dass es hier 20 Millionen Studierende gibt, allein in Shanghai existieren 100 Universitäten! Wenn diese Eliten in ihrer eigenen Studienzeit die Öffnung hin zur deutschen bzw. europäischen Kultur nicht kennenlernen und kultivieren, dann kann sich dies auch später nicht entfalten.

Frage: Und wie können Sie mit Ihrer Profession diese Entwicklung unterstützen?

Joshard Daus: In Mainz gibt es 40.000 Studierende, darunter viele, die sich für Kunst und Kultur, für die Chormusik und Sinfonik interessieren. Die haben wir über die vielen Jahre erfolgreich mit dem Collegium musicum ansprechen und für unsere Projekte begeistern können: eben nicht nur die Musiker, sondern die musikinteressierten angehenden Ärzte, Physiker und Juristen, die später in außermusikalischen Berufen Schlüsselpositionen in unserer Gesellschaft einnehmen. Das hat in Mainz so gut funktioniert, dass die Idee auch und gerade in einem Land wie China realisiert werden kann.

Frage: In welcher Form?

Joshard Daus: Mit Hilfe des Goethe-Instituts und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes werden wir an der Tongji-Universität in Shanghai ein Zentrum für europäische Chormusik einrichten. Die Kursarbeit wird mit chinesischen Assistenten aufgebaut werden; wir haben bisher erfreuliche Erfahrungen gemacht mit jungen Chinesen, die beispielsweise in Mainz sehr erfolgreich Musik studiert haben. Aus dem an der Tongji-Universität aufzubauenden Chor sollen dann besonders begabte Stimmen in Projekte der EuropaChorAkademie integriert werden, wozu ich dann phasenweise ebenfalls dort arbeiten werde.

Frage: Und wie wollen Sie das Publikum ansprechen?

Joshard Daus: Im Vordergrund steht die Vermittlung der deutschen Kultur und Chormusiktradition an die interessierten Studenten, die potentiellen Mitwirkenden. Über diese können wir dann auch weitere Kreise ansprechen und so an das vorhin beschriebene Grundinteresse an europäischer Kultur in China anknüpfen. Ich denke, dass man darüber hinaus sicherlich sogar das Interesse an geistlicher Vokalmusik wecken kann, wenn man es richtig versteht – in China gibt es immerhin 100 Millionen Christen. Als Helmut Rilling vor kurzem in China geistliche Bach-Kantaten aufgeführt hat, war das Publikum begeistert. Das hätte anfangs ja auch keiner vermutet. Wir wollen mit unserer Arbeit bereits im Sommer beginnen – und als erstes Konzertprojekt kommenden Dezember Bachs Weihnachtsoratorium aufführen.

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