Dem Komponisten ganz nah
MAINZ (5. Juli 2022). Das Wort „endlich“, das einem kurz vor Konzertbeginn durch den Kopf geht, hallt gleich mehrfach wider: Endlich wieder Konzerte, endlich wieder mit Chor und endlich hat der Hochschulchor der HfM Mainz mit Prof. Christian Rohrbach einen engagierten und inspirierten Leiter, der nun sein Vor-Ort-Debüt gab. Und so, wie sich das Ensemble in der Christuskirche präsentierte, darf man wohl mit Fug und Recht behaupten: Hier ist der rechte Mann am rechten Platz. Endlich!
Heinrich Schütz ist ein Komponist, der ihm am Herzen liegt, begrüßt der Dirigent das erfreulich zahlreich erschienene Publikum. Neben dem Hochschulchor darf es sich auf handverlesene Solistinnen und Solisten sowie Christian Undisz an der Violone, Toshinori Ozaki an der Theorbe und Jonathan Kreuder an der Truhenorgel freuen. Auch der studiert, wie die Solistenriege (mit Ausnahme des für den erkrankten David Franke eingesprungenen Hans Christoph Begemann) an der HfM. Und alle Mitwirkenden dokumentieren das beachtliche Niveau, auf dem dort musiziert (weil eben ausgebildet) wird.
Der mit über 40 Stimmen gut besetzte Hochschulchor erweist sich als wendiger Vokalkörper, der in allen Registern durchhörbar und mit vollem Klang bestens intoniert und spricht. Es ist nicht selbstverständlich, dass junge Sängerinnen und Sänger diesen alten Meister so genau begreifen und seine Musik derart überzeugend interpretieren: Christian Rohrbach konnte seine Begeisterung für Heinrich Schütz offenbar ohne Reibungsverluste auf die Choristen übertragen: Das Deutsche Magnificat SWV 494, die doppelchörige Motette „Jauchzet dem Herren, alle Welt“ WWV 36 mit Echo-Chor von der Empore sind ebenso purer Hörgenuss wie „So fahr ich hin zu Jesu Christ“ SWV 379 (wo sich die Quinte eines draußen vorbeifahrenden Martinshorns perfekt in das Stück integriert!) und brandaktuell „Verleih uns Frieden“ SWV. Dass Rohrbach auf Bläserbegleitung verzichtet, lässt den Chorgesang umso transparenter klingen.
Die Werke aus Schütz‘ Schwanengesang, den Psalmen Davids und der Geistlichen Chormusik von 1648 werden gleich doppelt flankiert. Zum einen erklingen Stücke aus den „Kleinen geistlichen Konzerten“ 1636 und 1639. Hier begeistern Emilie Jønsson und Paula Müller (Sopran), Lieselotte Fink und Ellenmarie Rasmussen (Mezzosopran), Peiyao Han und David Schläger (Tenor) sowie Begemann und Nicolas Ries (Bass). Eigentlich möchte man niemanden hervorheben, aber Rasmussen und vor allem Fink bezaubern in „Erhöre mich, wenn ich rufe“ SWV 289 mit einer derart eleganten Linienführung! Hoffentlich erhalten sich die Sängerinnen gerade diese Kunst – Gesang, in den man sich verlieben möchte.
Doch dieses Konzert ist ja weit mehr: Der Schauspieler und Drehbuchautor Orlando Klaus liest aus dem Nekrolog, den Martin Geier zum Begräbnis von Heinrich Schütz vortrug und der danach als „Kurtze Beschreibung des Herrn Heinrich Schützens […] geführten mühseeligen Lebens-Lauff“ im Druck erschien. Klaus‘ Rezitation könnte ein bisschen sonorer ausfallen, doch wer ihm aufmerksam zu folgen vermag, erlebt eine ob des historischen Duktus mit feiner Ironie gestaltete Lesung. Als vom Tod des Komponisten die Rede ist, herrscht auch in der Christuskirche tiefe Stille: „Und ist er also fort als wenn er schlieffe / gantz stille liegen blieben / bis endlichen der Athem und Pulß allmehlich abgenommen und sich verlohren / und er als es 4. Geschlagen / endlichen unter dem Gebeth und Singen der Umbstehenden/ sanfft und seelig ohne einiges Zucken verschieden.“ Danach intoniert der Chor „Selig sind die Toten“ SWV 391 – zutiefst ergreifend.
Die Vita im herrlich gestelzten Deutsch des Hochbarock katapultiert das Publikum direkt in die Gegenwart dieses großen Komponisten und die geschmackvoll ausgewählten Werke illustrieren den Vortrag als eine Art musikalisches Hörbuch. Was derart spannend ist, dass sich die Frage aufdrängt, ob es so etwas eigentlich schon auf CD oder YouTube gibt. Falls nicht, wäre das bestimmt ein spannendes Projekt der Mainzer Hochschule.
Die „Kurtze Beschreibung des Herrn Heinrich Schützens […] geführten mühseeligen Lebens-Lauff“ kann man auf der Homepage des Heinrich-Schütz-Hauses im Wortlaut nachlesen: http://www.heinrich-schuetz-haus.de/exponate/exponat_september_2008.php