Herausragende Leistung
MAINZ (27. April 2025). Die Musik kennt ihre Epochen und Komponisten. So war die des Barock vor allem von Italien, Frankreich, Deutschland, England und Spanien geprägt. Umso interessanter ist der Blick über den Tellerrand: Auch polnische Komponisten schrieben spannende Musik, was vor allem von Georg Philipp Telemann aufmerksam verfolgt wurde, der hieraus wichtige Einflüsse für seinen „gemischten Stil“ gewann.
Weiter in den Osten hört man in dieser Zeit jedoch eigentlich kaum hinein, weswegen das Ergebnis der ersten diesjährigen Arbeitsphase des LandesJugendChors (LJC) Rheinland-Pfalz aufhorchen ließ: In drei Konzerten in Neuwied-Engers, Kusel und Mainz kamen Chormusik von Johann Sebastian Bach, Arvo Pärt und Samuel Barber sowie ukrainische Werke des 17. Jahrhunderts zur Aufführung. Die Musik von Mykola Dyletskyi (1630~1680) und eines anonymen Meisters wurde erst vor Kurzem in einem Archiv in der ukrainischen Hauptstadt wiederentdeckt.
Dass sie nun von den jungen Stimmen des LJC aufgeführt wurden, ist auch dem Gastdirigenten zu verdanken: Für dieses Projekt konnte der LJC, der vom Landesmusikrat Rheinland-Pfalz getragen wird, den ukrainischen Dirigenten Oleksii Shamritsky gewinnen, der Sängerinnen und Sänger seines Sophia Chamber Choir mitbrachte. Dass der LJC diese fremde Musik rasch zu der seinen machte und höchst überzeugend interpretierte, ist – neben den exzellenten Stimmen der einzelnen Mitglieder – ein wichtiges Markenzeichen dieses Ensembles: die Offenheit gegenüber der Musik anderer Länder, Kulturen und Epochen und das Beherrschen der dennoch gemeinsamen Sprache Musik.
Los ging es jedoch mit der vierstimmigen Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ (BWV 230) von Bach. Nachdem man sich in die Akustik der Kirche St. Peter eingehört hatte, genoss man die jubelnden Koloraturen, die eben doch nicht im Hall versanken, sondern transparent gesungen gut zu verfolgen waren. Begleitet wurde der LJC an der Truhenorgel von Maximilian Rajczyk, der das Konzert als Manager des Ensembles auch behutsam moderierte.
Mit den ukrainischen Komponisten erlebte das Publikum dann einen interessanten Zeitsprung: Die Werke stammen aus der Zeit vor Bach und atmen durchaus den Geist eines Heinrich Schütz, erinnern aber gleichzeitig an spätere Musik wie die Vesper-Gesänge von Sergei Rachmaninow. Der Chor sang sowohl vierstimmig als auch doppelchörig, teilte sich in hohe und tiefe Register oder wurde bis zum (herausragenden!) Solisten-Quartett (mit Dirigent Shamritsky als Tenor) verschlankt. Auch wenn das Publikum die trostspendenden slawischen Gebete nicht im Wortlaut verstehen konnte, war die intensiv gesungene Musik doch Übersetzung genug und man fühlte sich aufgehoben in den dynamisch spannend aufgefächerten Klängen.
Der Komponist Arvo Pärt wurde 1935 in Estland geboren und feiert am 11. September seinen 90. Geburtstag. Ihm zu Ehren hatte der LJC die Stücke „Virgencita“, „Da pacem Domine“ und „Nunc dimittis“ ins Programm genommen: Pärts Stil der Reduktion führt Sänger wie Hörer zurück zum Wesentlichen, zum Kern der Musik, denn man erkennt, dass auch die Stille ihren eigenen Klang hat. Oft sind es nur wenige Töne, Wiederholungen, kleinste Intervalle, in denen sich Pärt ausdrückt. Dadurch erzielt er jedoch eine ungeahnt große Wirkung. Seine Musik stand im krassen Gegensatz zur ausladenden Polyphonie der Bach-Motette des Beginns, wirkte aber umso intensiver. Die Fragmentierung, der flächige Klang – Pärt schuf schwebende, oft im Ungewissen bleibende kaleidoskopartige Akkorde, die vom LJC mit einer bemerkenswerten Stilsicherheit interpretiert wurden.
Mindestens ebenso ansprechend waren die beiden letzten Werke des nachmittäglichen Konzerts: Zum einen das wundervolle „Agnus Dei“ von Samuel Barber, der hierfür sein berühmtes „Adagio for Strings“ für Vokalstimmen arrangiert hatte: Diese Musik ist Emotion pur und gab dem LJC die Möglichkeit, seine Register einmal voll auszusingen, was dem Chor packend gelang. Oleksii Shamritsky hätte dem Werk nicht nur angesichts der auslandenden Akustik in St. Peter zwar gerne etwas mehr Ruhe gönnen dürfen – angesichts des dennoch gelungenen Affekts ist dies jedoch nur eine Randbemerkung.
Das Konzert endete stimmungsvoll mit dem ruhigen „Prayer for Ukraine“, das der 1937 geborene Komponist Valentin Silvestrov 2014 komponierte. In St. Peter erklang es gleichsam als ergreifendes Statement, womit der LJC in aktuell mehr als herausragender Form das i-Tüpfelchen auf eine brillante Konzertleistung setzte.